Letzte Beichte
oder achtzig Zentimeter von ihnen entfernt schlief sie in ihrem Bett unter dem Fenster.
Jeremy sah, dass sich die Mitbewohnerin bewegte, und er versuchte Amanda zu warnen, aber nun steckte ein Lion – Riegel in seinem Mund – einer, der zuerst woanders gesteckt hatte und deshalb nicht besser schmeckte. Er konnte also schlecht sagen: »Da drüben ist eine vom Typ Mauerblümchen, und wir sind – abgesehen von einem weitgereisten Schokoriegel – völlig nackt.«
Aber er hatte sie nicht warnen müssen, denn Amanda wusste, dass die Frau da war und so tat, als ob sie schliefe, während sie sich in Wahrheit mit den weichen Gumminoppen ihrer Bürste in Stimmung brachte.
»Sally?« fragte Amanda, aber die Augen der jungen Frau blieben geschlossen. »Sally?« fragte Amanda und kroch hinüber indas Bett unter dem Fenster und steckte ihren Kopf unter die Decke.
Jeremy war verliebt! Er sah zu, wie die Wölbung in der Decke zuckte und zitterte, und dann sah er, wie der Kopf der jungen Frau dasselbe machte. Ihre Augen waren jetzt weit geöffnet und musterten ihn verführerisch.
Er war verliebt. Welchem Mann wäre es anders ergangen?
»Mit der wirst du nie und nimmer fertig«, sagte die Mitbewohnerin, als Amanda danach aufs Klo ging.
Jeremy war plötzlich befangen und zog die Decke über sich.
Als Amanda zurückkam, sprang sie so energiegeladen auf das Bett, dass Jeremy zu seiner eigenen Überraschung sagte: »Ich liebe dich!«
Sie schmiegte sich an ihn und fragte sich, ob er genau wie die anderen Kerle sein würde – die, die ihre abgedrehte Seite mochten – die Amanda, die wild vögelte und auf Betten sprang –, aber ihr unersättliches Verlangen nach Abenteuern nach ein oder zwei Tagen anstrengend und lästig fanden.
Aber Jeremy ließ sich nicht so schnell ins Bockshorn jagen. Er fand sie nicht verrückt oder abgedreht, bloß ehrlich und spontan. Wenn sie etwas wollte, dann fand sie eine Möglichkeit, es zu bekommen.
»Ich will auf dem Blumenmarkt in Chelsea Ecstasy einwerfen«, sagte sie ein paar Tage später, und gemeinsam bummelten sie durch eine Blumenlandschaft, die so herrlich war, dass sie am liebsten geweint hätten.
»Ich will im Hyde Park um fünf Uhr früh Hühnchen essen und Sekt trinken«, sagte sie, und als die Sonne aufging, perlte der Schaumwein.
Und wenn sie etwas brauchte, dann bat sie ihn darum.
»Bitte halt mich ganz fest.«
»Bitte mach mir Suppe.«
»Bitte steh auf und sing mir ein Liebeslied, aber von Anfang bis Ende.«
Mit ihr fühlte Jeremy sich lebendig. Gemeinsam erkundeten sie die Stadt. Sie gingen ins Kino. Sie stiegen in Busse mit unbekanntem Ziel, sogen den Duft der Welt ein, sahen und machten neuartige Sachen. Er schaute ihr nach ihrer ersten Begegnung mindestens zwanzig Mal dabei zu, wie sie nackt aufs Bett sprang, und er hatte das Gefühl, dass er ihr für immer hätte zusehen wollen, wie sie nackt auf Betten sprang.
»Du kannst dein eigenes Zimmer haben!« versicherte Jeremy ihr, als sie ein paar Wochen später sagte, dass sie ihrer Mitbewohnerin überdrüssig sei. »Und deinen eigenen Wäschekorb!«
Am nächsten Tag zog Amanda in Jeremys Wohnung in Islington ein. Physisch betrachtet war das nicht schwer: Alles, was sie hatte, war ein Rucksack mit Klamotten, die nach drei Monaten Handwäsche steif waren und muffig rochen. In emotionaler Hinsicht war es eine Tortur. Amanda war eine Sprinterin, immer auf Achse. Mit sechzehn Jahren hatte sie ihr Elternhaus in Glasgow verlassen und war nach Edinburgh gezogen. Erst war sie durch ganz Europa gereist, dann durch Asien. Schließlich war sie nach London gekommen. Ein paar Monate hier, ein paar Monate dort – immer war sie gegangen, ehe ihre interessanten neuen Freunde allzu anhänglich werden konnten.
Zwei Monate zuvor war sie in der Liverpool Street aufgeschlagen. Sie hatte eine Teilzeitstelle in einem Nagelstudio angenommen und war zweimal Angestellte des Monats geworden. Es machte Spaß, so viel Spaß wie überall, aber als ihre Mitbewohnerin Sally sie während einer nächtlichen Unterhaltung als »die beste Freundin, die ich jemals hatte« bezeichnete, fing Amanda an, sich Sorgen zu machen. So besorgt war Amanda, dass sie die ganze Nacht lang wachlag.
Es war nicht so, dass sie durch ein Kindheitstrauma geschädigt gewesen wäre oder keine Familie gehabt hätte oder eine schlechte. Ganz im Gegenteil. Es war etwas anderes, das sie dazu brachte, sich treiben zu lassen. Eine unerledigte Geschichte in Glasgow, zu schwierig, um
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