Letzte Beichte
Voruntersuchungsbericht für Jeremy Bagshaw.
Ich ahnte es damals nicht, aber dies war der Fall, der mein Leben beinahe zerstören würde.
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5
Jeremy hatte den größten Teil der letzten zwei Wochen mit dem Versuch verbracht, nicht zu weinen. Weinen ging in Sandhill gar nicht. Weinen war das Gegenteil von allem, was ging: Harte Burschen wittern deine Schwäche und machen sich an dich heran, Wärter lachen dich aus, und was das Schlimmste von allem ist: Andere Heulsusen glauben, dass sie einen Leidensgefährten gefunden haben, und suchen deine Nähe.
»Ich weiß, wie du dich fühlst«, hatte ihm ein ausgemergelter Typ mit narbigem Gesicht am Tag zuvor gesagt.
Er hatte sich umgeschaut und gedacht: »Nein, tust du nicht.«
Während der gesamten zwei Wochen hatte er täglich dreiundzwanzig Stunden lang allein in seiner Zelle gesessen. Die restliche Stunde hatte er damit verbracht, auf Zementboden im Kreis zu gehen und sich zu fragen, warum er seine Zelle überhaupt verlassen hatte – angesichts des Regens, der gehässigen Blicke der Aufseher und des allzeit drohenden Todes durch die harten Burschen, die wie Piranhas im Innenhof zirkulierten.
Er hatte Gefängnisse wie Sandhill im Fernsehen gesehen, aber er hatte nicht gedacht, dass sie so schlimm seien – fünf Hallen aus Stein, jede ein höhlenartiges Rechteck, drei Stockwerke hoch, mit verschlossenen Stahltüren: Backstein und Stahl, alles so hart und kalt wie die Wärter, die auf den Treppenabsätzen Posten standen.
In seiner Zelle befanden sich ein Etagenbett, ein Tisch, ein Fernseher, ein Junkie (es waren immer Junkies) und eine Toilette. Jeremy war dankbar für die Toilette, nachdem er erfahren hatte, dass er nur zwei Jahre zuvor an ihrer Stelle einen dampfenden Eimer voll Scheiße vorgefunden hätte.
Dreiundzwanzig Stunden am Tag starrte Jeremy entweder auf den Fernseher oder auf die Unterseite der oberen Pritsche und dachte an Amanda.
Amanda, deren schottischer Akzent ihn erst von einem Ende des »Stoke and Ferret« ans andere, dann von einem Ende des Landes ans andere gelockt hatte. Sie hatte dagesessen und billigen Cider getrunken, als er ihr zum ersten Mal begegnet war, und als der Abend zu Ende ging, tanzte sie in Kensington Gardens und sang »Blume von Schottland«. Mehr laut als schön.
»Ich habe Schokolade zu Hause«, hatte Amanda gesagt und sich neben Jeremy ins Gras fallenlassen.
»Dann müssen wir sie holen gehen«, hatte er geantwortet. Er war aufgestanden und hatte sie zu sich hochgezogen.
Die Frühstückspension, in der sie wohnte, war ein kleines, schäbiges Haus, umrahmt von zwei großen Hotels. Amanda schloss die Eingangstür auf und führte Jeremy durch die Diele in die Küche, wo sie die Schränke durchstöberte. Es gab gebackene Bohnen, Dosentomaten und Brot, aber Schokolade gab es nicht.
»Du hast mich mit falschen Behauptungen hergelockt«, sagte Jeremy.
»Stimmt«, erwiderte sie, drückte ihn gegen den Kühlschrank und küsste ihn heftig.
Später in dieser Nacht schlief Jeremy an ihrer Seite ein. Und als sie am frühen Morgen aufwachten, stellten sie überrascht fest, dass sie sich nüchtern sogar noch attraktiver fanden. Sie waren auch überrascht, dass sie nackt waren, und Jeremy wunderte sich, dass eine Frau Mitte zwanzig sie von einem Bett unter dem Fenster aus anstarrte.
»Hallo«, flüsterte Jeremy und schaute Amanda in die Augen.
»Hallo«, antwortete Amanda.
»Ich habe noch nie jemanden wie dich getroffen«, sagte Jeremy.
»Was heißt das?«
»Das heißt, dass ich noch nie jemanden wie dich getroffen habe. Sag meinen Namen.«
»Wie heißt du noch mal?«
»Jeremy.«
Sie gehorchte: »Jeremy.«
»Sag ihn noch mal.«
»Jeremy« sagte sie, dann weicher: »… Jeremy.«
»Jeremy und Amanda …« – er legte eine Pause ein – »… werden beobachtet.«
Die Katzenaugen der Mitbewohnerin glänzten in schamlosem Voyeurismus.
»Komm, wir gehen Schokolade holen!« sagte Amanda.
Sie zogen sich an und legten vier Blocks auf der Suche nach Lion – Riegeln und Crunchies zurück. Schließlich kamen sie zu einem Supermarkt, der rund um die Uhr geöffnet hatte, und wie durch Zauberei hatte er Lion – Riegel, Crunchies und sieben verschiedene Sorten Kondome.
Jeremy war ein wenig verdutzt, als sie in die Pension zurückkamen und Amanda sich erst einen Crunchie in den Mund steckte und dann niederkniete und das Kondom über seinen Penis zog. Denn die andere Frau befand sich immer noch im Zimmer – nur sechzig
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