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Letzte Beichte

Letzte Beichte

Titel: Letzte Beichte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helen FitzGerald
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Man hatte sie zwangssterilisiert.
    Nachdem ich wie blöd gegoogelt hatte, begann ich zu verstehen, um was es bei diesen Fällen ging: eine automatische und für selbstverständlich erachtete körperliche Nähe, intensiv und rückhaltlos, aber ohne die Tabus, die in jahrelangem Zusammenleben aus fest definierten Rollen entstehen.
    Es war nicht so grobschlächtig wie Inzest. Es war kein Missbrauch. Es ging um ein Umarmen und Verschmelzen, bei dem keine Zeit zum Nachdenken blieb, keine Möglichkeit, aufzuhören.
    Trotzdem: mein lieber Scholli!
    Es war spät. Ich musste Robbie abholen.
    Robbie hatte einen tollen Tag bei meinen Eltern verbracht. Sie waren mit ihm im Park und auf dem Spielplatz gewesen. Er hatte gut gegessen und war um sechs Uhr in den Armen meines Vaters eingeschlafen.
    »Kann er über Nacht bleiben?« fragte meine Mutter. »Es wäre doch grausam, ihn jetzt aufzuwecken.«
    Ich küsste Robbie auf die Stirn und schmiegte mich an seine warme Brust. Mein kleiner Sonnenschein.
    »Wenn ihr mir einen Gefallen tun könnt?« sagte ich. »Schließt bitte alle Türen ab und behaltet die Straße im Auge. Da draußen laufen zu viele gruselige Typen herum.«
    »Diese Arbeit macht dich paranoid«, sagte meine Mutter.
    Wenn du wüsstest, dachte ich.
    »Ich hab euch lieb«, sagte ich und umarmte meine Eltern zum Abschied. Am liebsten hätte ich ihnen alles erzählt, aber ich wollte nicht, dass sie sich noch mehr Sorgen machten. »Dieser Job ist ein Albtraum, aber ich denke, dass es mit der Zeit einfacher wird. Danke fürs Helfen.«
    Beim Hinausgehen schaute ich mich um: Die Straße war leer. Robbie war in Sicherheit, oder? Wo hätte er denn sicherer sein können?
    Als ich in meine leere Wohnung kam, leerte ich binnen zwanzig Minuten eine ganze Flasche Wein. Weil ich vorher nichts gegessen hatte, verwandelte sich mein Gehirn unverzüglich in Brei. Plötzlich stand ich mitten in der Küche und dachte mir:
    Du hast zwei Möglichkeiten, Krissie Donald. Du kannst AUFHÖREN . Hör einfach einen Moment lang auf und DENK NACH . Dann wirst du sehen, dass Amandas Liebschaft mit ihrer Mutter ohne Bedeutung für dich ist. Du wirst sehen, dass Jeremys gnadenlose Eltern ohne Bedeutung für dich sind. Du wirst sehen, dass das Gleiche für seine Schuld oder Unschuld gilt.
    Was Auswirkungen auf dich hat, Krissie Donald, sind die kompromittierenden Fotos, der Erpresserbrief und zwei Päckchen mit Drogen in deiner Küche. Ebenfalls Auswirkungen hat die Tatsache, dass dein über alles geliebter Mann sich nicht in deiner Küche befindet. Er ist bei einer anderen, kichert mit einer anderen. Alles ganz einfach. Zwei Sachen. Kläre sie. Handle. Schaff sie aus der Welt. Eine nach der anderen. Schreib eine Liste. Eins. Zwei. Dann handle.
    Hatte jemand etwas Vernünftiges gesagt? Wenn ja, dann hatte ich seit dem fünften Glas Wein nicht mehr zugehört und stattdessen einer weitaus faszinierenderen Stimme zu lauschen begonnen. Einer Stimme, die mir von meiner einsamen Fensterbank aus ins Ohr flüsterte. Sie sprach von Jodie Foster und Hannibal Lecter, und sie sagte mir, dass ich die große Tafel aus Robbies Zimmer holen und in die Mitte des Küchenbodens legen solle, zusammen mit einigen bunten Kreideresten.
    Du wirst langsam verrückt, K, beharrte die Stimme der Vernunft, aber ich brachte sie mit einem Totenschädel voll roter Flüssigkeit zum Schweigen und schrieb mit dem ernsten Mund von Ms. Foster in meiner neuen Ermittlungszentrale auf meine neue Ermittlungstafel:
    Wer hat Bridget McGivern getötet?
    Ich hatte heute Nachmittag mehr als dreißig Pfund für überflüssige Nagelpflege ausgegeben, und Amanda hatte mir dabei die schockierendste Geschichte meines Lebens erzählt. Stimmte das? War sie schockierender als Jeremys Geschichte? Oder schockierender als Roberts Geschichte über den demenzkranken Mann und seinen dreibeinigen Hund? Egal. Zu diesem Zeitpunkt, nach zwei Wochen in meinem neuen Beruf, war es meine schockierendste Geschichte oder zumindest eine aussichtsreiche Anwärterin auf Platz eins. Und als solche musste sie ausgiebig erwogen und durchdacht werden. Ich musste mir Notizen machen und einige Theorien wie die von Ödipus-Schmödipus und Elektra und von Vernachlässigung und Bindung nachschlagen.
    »Wer hat Bridget McGivern getötet?« Ich hatte es oben auf meine Ermittlungstafel geschrieben.
    (Natürlich gibt es etwas, worüber du dir Sorgen machen musst. Bring die Drogen zur Polizei, du hirnverbrannte Idiotin …)
    »Jeremy?«

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