Letzte Beichte
welches.«
»Wie geht’s Jeremy?«
»Ach, der ist für eine Weile in London. Seine Mutter ist krank. Wahrscheinlich kommt er heute zurück. Ich grüße ihn von dir, wenn er kommt.«
»Ist mit seiner Mutter alles in Ordnung? Ist das der Grund, warum sie nicht zur Hochzeitsfeier kommen wollte? Ach, Mand, ich wünschte, du hättest dich früher gemeldet. Mit dir selbst ist alles in Ordnung?«
»Ja, ihr geht’s gut, ja, nein, mir auch. Ich bin bloß etwas müde und hormonell durcheinander. Er ist ja bald zurück. Er ist ein guter Mann, Mama. Ich liebe ihn.«
»Nimm das Nachtkerzenöl …«
»Mach ich. Tschüs.«
»Tschüs, Liebes. Ruf mich wieder an, und trink viel Wasser.Dein Vater ist gerade draußen im Garten. Und sag Jeremy, er soll seiner Mutter gute Besserung von uns wünschen …«
»Mach ich. Tschüs, Mama!«
»Jeremy?«
»Wie ist es gelaufen?«
»Es war seltsam, schwierig …«
Amanda hatte Jeremy nach dem ersten Besuch in Ballon angerufen. Sie hatten stundenlang miteinander geredet, und er war genauso gewesen, wie sie es gebraucht hatte: verständnisvoll, freundlich, geduldig.
Er hatte die richtigen Fragen gestellt und die richtigen Vorschläge gemacht, und als sie auflegte, fühlte sie sich geliebt und geborgen.
»Wie geht es deiner Mutter?« hatte Amanda gefragt.
»Sie kommt bald raus. Sie weiß, dass ich hier bin, also war es die Sache wert. Aber sie wollte niemanden sehen … Ich fahre heute Abend zurück.«
»Nein, hör zu! Bleib da, bis sie entlassen wird. Hast du mit ihr gesprochen?«
»Nein, aber vielleicht gibt es nach der Entlassung noch eine Gelegenheit.«
»Dann solltest du warten.«
»Geht es dir gut?« hatte Jeremy gefragt. »Ich kann kommen, ich kann gleich losfahren.«
»Nein, versuch erst noch, deine Mutter zu sehen. Was ich hier machen muss, kann ich sowieso nur allein machen. In Ordnung?«
»Natürlich, Liebes. Ruf mich an, wann immer du mit jemandem sprechen musst. Und gib Bescheid, wenn ich kommen soll – ich kann in fünf Stunden da sein. Versprochen?«
»Versprochen.«
»Man sollte meinen, einer von uns müsste eine normale Mutter-Kind-Beziehung haben!«
»Hat die irgendjemand?« fragte Amanda.
»Ich weiß es nicht.«
Tag drei
Amanda wusste, dass Bridget kommen würde. Sie wartete am Fenster und sah zu, wie die Familien dem Steigen und Fallen des Wassers zusahen, und sie wusste, dass sie kommen würde. Und sie kam.
Es gab keinen besonderen Moment, wo die Sache entgleiste und aus etwas Angemessenem etwas Unangemessenes wurde. Keine der beiden hatte als Erste den Arm der anderen auf unzulässige Weise gestreichelt, keine hatte ein Wangenküsschen zu lange nachklingen lassen. Sie waren beide daran beteiligt gewesen: waren ineinander versunken, waren außerstande gewesen, den eigenen Blick vom Blick der anderen zu lösen, hatten aneinander gehaftet. Es war, wie wenn sie in jenen Moment vor achtundzwanzig Jahren zurückversetzt worden wären, als sie vom selben Essen, vom selben Wasser gelebt hatten, als sie nackt und blutig beieinandergelegen hatten, ehe man sie auseinanderriss. Diesmal würde man sie nicht auseinanderreißen.
In den Stunden, die sie mit Bridget verbrachte, begann Amanda den Reiz des Landlebens zu verstehen. Zwei ganze Tage und Nächte im Grünen, ohne Lärm und Autos und Nachbarn. Zwei ganze Tage und Nächte allein miteinander, in denen sie über all die Themen sprachen, die sie zuvor vermieden hatten.
Bridget erzählte Amanda von den Wochen nach der Geburt, als sie im Bett gelegen hatte. Sie erzählte, wie sehr sie ihren Entschluss bereut und wie verzweifelt sie versucht hatte, ihn rückgängig zu machen. Sie erzählte von ihrer Heirat mit Hamish einige Jahre später auf dem Standesamt im Ort, und wie ihre Liebe immer von dem Ereignis überschattet worden war, das den Beginn ihres gemeinsamen Lebens markierte. Sie sprach über die Schuldgefühle, die sie empfunden hatte, weil sie sich ein zweites Kind gewünscht hatte, und wie diese Schuldgefühle vielleicht auch die Art, wie sie ihre Zweitgeborene aufgezogen hatte, beeinflusst hatten. Als Rachel auf die Welt gekommen sei, sagte Bridget, habe ihr Mund ganz verhutzelt ausgesehen, und mit wie vielen Kissen man Mutter und Tochter auch stützte,habe das Zusammenspiel der beiden doch nicht funktioniert. Als ihr endlich ein Fläschchen angeboten worden sei, habe Rachel voller Verzweiflung daran genuckelt. Erschreckend, wie gierig sie getrunken habe und wie ein Stück Plastik den Frieden gebracht
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