Letzte Beichte
verkörperte.
Das Telefon klingelte. Es war der Anwalt. Jeremy werde gerade entlassen. Er warte darauf, dass ich ihn abhole.
»Gut, dass Sie Jeremy die Nägel manikürt haben«, sagte ich zu Amanda, als ich sie auf dem Weg zum Gefängnis abholte.
»Ich habe stundenlang dieses Nagelnecessaire gesucht«, entgegnete sie. »Aber ich bin froh, dass Sie es gestohlen haben.«
Ich dachte an Sachen, die Chas und ich gemeinsam gemacht hatten. Chas hatte lange Nasenhaare, wie Fliegenbeine. Ich hatte sie immer mit zwei Fingern gepackt und mit einem Ruck ausgerissen. Dann hatte ich sie zwischen den Fingerspitzen gehalten und gezählt. Wir hatten das sogar auf Partys gemacht, um Leute zu erschrecken (fünfzehn war der Spitzenwert gewesen).
Dann gab es da die kleine Lücke zwischen meinen Schneidezähnen, aus der ich Wasser spritzen lassen konnte, wenn ich mit der Zunge fest genug dagegen presste. In unbeachteten Momenten hatte ich Chas oft ins Auge getroffen, aus beeindruckender Entfernung. Ach ja, und dann hatte er manchmal seinen Rasierapparat benutzt, um meine Bikinizone zu rasieren, und immer hatte er meinen für sein Gesicht benutzt. Bestimmt hatte ich Chas’ DNA immer noch überall an mir, aber das war alles, was wir voneinander hatten: nichts als abgestorbene Zellen.
Hatte ein anderes Leben begonnen? Würde ich je wieder ins Reich der Liebenden zurückkehren und morgens im Bett meinen Kaffee trinken? Würden Chas und ich je wieder ein Elternpaar sein, das freitagabends Essen kocht und einem pausbäckigen, lächelnden, lockigen kleinen Jungen gemeinsam Gutenachtgeschichten vorliest?
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47
Amanda stand kurz davor, in ihr früheres Leben zurückzukehren – als sie mit einem erfolgreichen Immobilienentwickler verheiratet gewesen war, in einer hübschen Wohnung in Islington gewohnt hatte und vor ihren alten Freunden in Glasgow angegeben hatte. Sie hatte ihn vermisst, aber dieses Vermissen war von den Ereignissen nach ihrer Hochzeitsfeier in Glasgow überschattet worden.
Bridget ausfindig zu machen.
Etwas zu empfinden, für das sie keinen Ausdruck gekannt hatte.
Es auf eine Weise auszudrücken, die sie verwirrt und voller Schuldgefühle zurückließ.
Und Bridgets brutaler Tod, ein anhaltender Albtraum in ihrem Unterbewusstsein und Bewusstsein.
Dann Jeremys Verhaftung. Des Mannes, den sie liebte. Wie konnte irgendjemand glauben, dass er zu einer solchen Tat fähig sei?
Als sich Krissies Auto Sandhill näherte, raste Amandas Herz vor Aufregung und Anspannung. Ob die Erfahrungen im Gefängnis Jeremy verändert hatten? Ob er ihr die Schuld an allem geben würde? Ob er mit ihrer Trauer zurechtkommen würde? Damit, dass sie manchmal den ganzen Tag lang weinte, und die ganze Nacht? Dass sie kaum schlief oder aß?
Ob Jeremy sie immer noch liebte? Ob er sie lieben würde, wenn er wüsste, dass ihr nach nichts weniger zumute war, als darauf, nackt auf Betten zu springen?
Sie war nervös, aber sie glaubte an ihn. Er war ihr Jeremy. Der Mann, in den sie sich in jener Nacht im Earls Court Hostelverliebt hatte, der ihr an jenem Tag in der Polizeizelle verziehen hatte, als sie ihm gesagt hatte, was mit Bridget passiert war. Der Mann mit der armen, verletzlichen Seele, der alle Liebe brauchte, die ihm seit dem Alter von vier Jahren verwehrt worden war.
Sie hatte sich den ganzen Tag lang auf ihn vorbereitet. Haare und Haut und Kleidung und Parfüm. Sie hatte das Schlafzimmer einladend und anheimelnd eingerichtet, Schokolade gekauft (weil sie wusste, wie sehr er die mochte) und gebetet. Lieber Gott, mach, dass es vorbei ist. Mach, dass wir so glücklich wie möglich werden, und bitte mach, dass Bridget im Himmel ist. Amen.
Draußen hupte es. Das war die komische Sozialarbeiterin, die anscheinend nichts Besseres zu tun hatte, als sie herumzukutschieren und pausenlos über Jeremy zu reden. Warum zum Teufel zahlten Menschen Steuern, damit solche Leute sich maniküren ließen und andere Leute durch die Gegend fuhren? Es war ein Skandal, und sie sollte mal mit dem Abgeordneten ihres Wahlkreises darüber sprechen. Aber erst, nachdem diese Frau sie ins Gefängnis mitgenommen hatte, denn sie selbst hatte kein Auto.
O Gott, wie nervös sie war. In einer Stunde würde sie ihn in den Armen halten, ihn mit nach Hause nehmen. Sie würden zusammen sein. Sie würde ihn bitten, mit ihr nach Schottland zu ziehen, und er würde Ja sagen, und sie würden eine Familie gründen. Ein Junge und ein Mädchen. Oder zwei Mädchen und ein Junge.
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