Letzte Beichte
noch nichts. Würden Sie ihn herbringen, Krissie? Ich habe sein Lieblingsessen gemacht – Sie erinnern sich? Ich ertrage das Gefängnis nicht, aber ich will ihn trotzdem überraschen.«
»Ich bringe ihn gleich vorbei, wenn er rauskommt«, versprach ich und schüttelte meinen Kopf angesichts ihrer anhaltenden Seltsamkeit.
Zum Mittagessen fuhr ich zu meinen Eltern. Ist schon komisch: Wenn man gute oder schlechte Neuigkeiten hat, muss man sie sofort jedem erzählen, als ob sie dadurch irgendwie realer würden. Aber als ich bei meinen Eltern ankam, erkannte ich, dass diese Neuigkeit für sie nicht real war – sie hatte nichts mitihnen zu tun, und mit mir eigentlich auch nicht. Sofort war sie weniger aufregend.
»Du musst dich wieder mit Chas vertragen«, sagte mein Vater über seinem Eintopf.
»Ich glaube, er ist mit einer Frau namens Madeleine zusammen«, sagte ich.
Es war, wie wenn man eine vor vielen Menschen glorreich gewonnene Trophäe nach Hause bringt. Ich hatte Jeremy geholfen, ich hatte Amanda geholfen, aber jetzt war ich zu Hause, und alles, was ich hatte, war ein Teller mit Eintopf. Mir war elend zumute.
Selbst Robbie sah elend aus. »Zaubertrank!« sagte er zwischen diversen Flüchen, und ich versuchte, Mehl mit Feenflüssigkeit zu mischen und deswegen sehr enthusiastisch zu sein, aber er erkannte, dass es kein echter Zaubertrank war, der den Feen schnellere Flügel verleihen würde. Es waren bloß Seife und Mehl und eine Riesensauerei, und so seufzten wir uns in der Küche meiner Eltern abwechselnd an und sehnten uns zwei Wochen zurück.
Meinen Eltern ging es fast genauso schlecht. Sie liebten Chas fast genauso, wie sie mich liebten, und dass er mit jemand anders zusammen war, verletzte sie genauso wie mich. Sie konnten es gar nicht glauben – er war ihr Junge, ihr reizender Chas, das Beste, was ihrer Tochter jemals widerfahren war.
»Bist du dir sicher?« fragte meine Mutter.
»Ich sehe sie dauernd zusammen. Seit ich Danny auf der Party geküsst habe, ist er bei ihr: Er hat ihr Rosen ins Haar gesteckt und ihr gesagt, dass sie seine beste Freundin und sein Licht sei. Ich habe gehört, wie sie sich geküsst haben.«
»Du hast es gehört?« (Hoffnungsschimmer bei meiner Mum.)
»Und wie sie miteinander gesprochen haben.«
»Oh.« (Verflixt!)
»Willst du heute Nacht hierbleiben?«
»Nein, ich muss zurück nach Hause. Ich muss diesen reizenden kleinen Kerl ins Bett bringen, ihm eine Gutenachtgeschichte vorlesen und ihn knuddeln, und dann muss ich ein Glas Wein trinken.«
Ich zog einen Nikotininhalator aus der Tasche – Danny hatte ihn mir vormittags als Teil meines Maßnahmenplans geschenkt – und sog heftig daran.
»Sieht wie ein Tampon aus«, sagte meine Mutter.
»Ich weiß.«
Der Anwalt hatte immer noch nicht angerufen, als ich nach dem Mittagessen zurück ins Büro kam. Er war im Gericht. Ich hinterließ ihm eine Nachricht mit meiner Privatnummer, zerriss Jeremys Gutachten und schickte ein anderes ins Gericht, das ich irgendwie innerhalb von vierzig Minuten fertigbekam. Dann ging ich, um Geld von meinem schwindenden Bankguthaben abzuheben und ein Geschenk für Jeremy und Amanda zu kaufen – eine schottische Trinkschale aus Silber.
Ich flitzte nach Hause, um das Geschenk einzupacken, und sah, dass Chas dagewesen war. Er hatte die Trittleiter am falschen Platz stehenlassen, und auf dem Küchentisch lag ein Zettel: »Kannst du mich bitte anrufen?«
Sofort wählte ich seine Nummer. Mein Herz raste. Niemand ging dran, also hinterließ ich eine Nachricht. Scheiße.
Ich entdeckte weitere Hinweise auf Chas. Seine Lieblingsjeans und sein T-Shirt waren weg, ein Foto von Robbie war leicht nach links gerückt worden, Zahnbürste und Rasiercreme waren nicht mehr da, das Küchenfenster stand offen. Er hatte ein Glas Wasser getrunken und das Glas in der Spüle stehenlassen, er hatte die Post durchgesehen und einen Kontoauszug sowie einen Brief von der Galerie mitgenommen. Dann hatte er den Zettel geschrieben, die beiden Eingangstüren geschlossen und war gegangen.
Noch etwas fiel mir auf, als ich gerade die Wohnung verlassen wollte, nämlich das Hochzeitskleid, das ich gekauft hatte.
Es hing auf der Innenseite der Schlafzimmertür. Ich berührte das Oberteil (der Nutellafleck freute sich seines langen Lebens) und überraschte mich auf einmal dabei, dass ich erst meineHand küsste und danach das Kleid – dieses weiche, weiße Ding, das allem Anschein nach eine verlorene Zukunft
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