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Letzte Ehre

Letzte Ehre

Titel: Letzte Ehre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sue Grafton
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und half mir, den Flug zu reservieren, den ich brauchte. Es gab einen Flug von Louisville nach Chicago um 19.1z Uhr, der um 19.2z Uhr dort ankam, worin sich der einstündige Zeitunterschied widerspiegelt. Nach kurzem Aufenthalt könnte ich um 20.14 Uhr von Chicago weiterfliegen und würde um 22.24 Uhr kalifornische Zeit in Los Angeles landen. Der Flug nach Santa Teresa ging um 23.00 Uhr und kam fünfundvierzig Minuten später an. Der letzte Anschluß war knapp, aber der Angestellte der Fluglinie schwor mir, daß das Ankunfts- und Abfluggate nah beieinander lagen. Da ich kein Gepäck hatte, glaubte er, daß es keine Probleme geben würde. Er riet mir, eine Stunde vor Abflug am Flughafen zu sein, damit ich mein Ticket bezahlen konnte.
    Er hatte mich gerade wieder auf Warteleitung geschaltet, als Ray mit einem sauberen Handtuch in der Hand den Kopf zur Tür hereinstreckte. »Das ist für Sie«, rief er und warf es aufs Bett. »Wenn Sie zu Ende telefoniert haben, können Sie unter die Dusche hüpfen. An der Tür hängt ein Bademantel. Ma sagt, sie wirft Ihre Sachen in die Maschine, wenn Sie fertig sind.«
    Ich legte eine Hand über die Sprechmuschel und sagte: »Danke. Ich bringe sie gleich raus. Was ist mit den Sachen im Wagen?«
    »Die hat sie schon. Ich habe alles hereingeholt.«
    Er wollte gerade wieder gehen, steckte dann aber doch noch einmal den Kopf herein. »Ach. Beinahe hätte ich es vergessen. Ma sagt, im selben Einkaufszentrum, wo auch der Supermarkt ist, gibt es eine Schnellreinigung. Wenn Sie mir Ihre Jacke geben, kann ich sie auf dem Hinweg dort abgeben und auf dem Rückweg wieder holen.«
    Der Mann von der Fluglinie hatte sich wieder gemeldet und war bereits dabei, die Flugdaten zu bestätigen, während ich Ray begeistert zunickte. Den Hörer nach wie vor in die Halsbeuge geklemmt, leerte ich meine Blazertaschen und reichte ihm die Jacke. Er winkte und zog sich zurück, während ich mein Gespräch beendete.
    Ich ging ins Badezimmer, wo ich nach kurzer Suche den Bauchgurt unten im Schmutzwäschekorb fand. Ich zerrte ihn heraus und inspizierte ihn, beeindruckt von der Genialität der Konstruktion. Das Gebilde ähnelte der überdimensionalen Gesichtsmaske eines Catchers, ein konvexer Rahmen aus teilbeweglichen Plastikrohren, umwickelt von einer Wattierung, in die unzählige zusammengebündelte Banknoten gepackt worden waren. Tragfähige Segeltuchriemen hielten den Gurt an Ort und Stelle. Ich untersuchte einige der Pakete und blätterte mich durch Fünf-, Zehn-, Zwanzig- und Fünfzig-Dollar-Noten in verschiedenen Größen. Viele Scheine waren mir unvertraut, und ich mußte annehmen, daß sie nicht mehr gültig waren. Mehrere Päckchen schienen buchstäblich frisch aus der Druckerpresse zu stammen. Es betrübte mich, daß Laura alltägliche Ausgaben mit Banknoten bestritt, für die ein interessierter Sammler viel Geld bezahlt hätte. Es war dumm von Ray, dabeizustehen und zuzusehen, wie seine Tochter alles verschleuderte. Wer wußte schon, wieviel Geld noch zu holen war?
    Ich stopfte den Geldgurt wieder in den Wäschepuff. Mir ist stets daran gelegen, alles zu einem Abschluß zu bringen, und ich mag es nicht, wenn so viele Fragen unbeantwortet bleiben. Auf jeden Fall (sagte sie) war das nicht mein Problem. In sechs Stunden wäre ich unterwegs nach Kalifornien. Wenn noch irgendwo stapelweise die Moneten herumlagen, so war das einzig und allein Rays Angelegenheit. An einem Haken an der Tür hing ein blauer Chenille-Bademantel. Ich schlüpfte aus dem geliehenen Jeanskleid und der Unterwäsche, zog den Bademantel an und trug meine schmutzigen Kleider in die Küche hinaus. Ray und Laura hatten sich offenbar bereits auf ihren Besorgungsgang gemacht. Ich konnte Süßkartoffeln auf dem Herd stehen sehen, die in einer dunkelblau-weiß gesprenkelten Kasserolle vor sich hinköchelten. Liter-Einmachgläser mit Tomaten und grünen Bohnen waren von den Borden in der Speisekammer geholt und auf die Arbeitsfläche gestellt worden. Ich bedachte kurz die Möglichkeit von Botulismus infolge des Genusses mangelhaft konservierter Lebensmittel, aber, mein Gott, die Sterblichkeitsrate lag ja nur bei fünfundsechzig Prozent. Rays Mutter hätte vermutlich kein so gesegnetes Alter erreicht, wenn sie das Einmachen nicht perfekt beherrschte.
    Die Tür zur Waschküche stand offen. Der Raum war nicht isoliert, und die Luft, die aus ihm herausströmte, war eisig. Rays Mutter widmete sich ihrer Arbeit, als spürte sie die Kälte gar nicht.

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