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Letzte Ehre

Letzte Ehre

Titel: Letzte Ehre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sue Grafton
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eine Hälfte schlug nach ihrer Seite der Familie und die andere Hälfte nach den Pitts väterlicherseits. Wenn Sie uns zum Fotografieren aufstellen würden, könnten Sie es klar und deutlich erkennen. Es ist unübersehbar. Alle aus Vaters Sippschaft sind einfach gestorben. Im Grunde ein jämmerlicher Stamm, wenn man sich’s genau besieht. Es waren kleine Leute mit winzigen Köpfen, und so fehlte ihnen auch der Grips, den unsere Seite der Familie besitzt, und außerdem hatten sie keinerlei körperliche Widerstandskraft. Die Mutter unseres Vaters war eine geborene >Mauritz<. Übersetzt heißt das >maurisch<, was auf eine Horde Mohren irgendwo weiter oben im Stammbaum schließen läßt. Sie waren allesamt dunkelhäutig und so schwächlich, wie man sich nur vorstellen kann. Unsere Großmutter Mauritz ist an Grippe gestorben, genau wie zwei meiner älteren Brüder. Es war ein Trauerspiel. Erst schied sie dahin, dann der eine und schließlich der andere. Unsere Schwester Alice war die nächste, die wir verloren. Dunkelhäutig und mit einem winzigen Köpfchen, starb sie einen Tag, nachdem sie krank geworden war, auch an der Grippe. Vier Cousins und Cousinen, eine Tante. Manchmal starben zwei am selben Tag, und es gab ein Doppelbegräbnis. Die gesamte Linie wurde in einem Zeitraum von fünf Monaten zwischen November und März ausgelöscht. Diejenigen von uns, die unserer Mutter nachschlugen, sind als einzige übriggeblieben, und wir haben vor, uns noch Jahre zu halten. Unsere Mutter wurde hundertdrei. Mit neunzig wurde sie so boshaft, daß wir drohten, ihr ihren Whiskey zu entziehen, wenn sie sich nicht zusammenriß. Sie verlangte nur sechs Eßlöffel am Tag, aber die hielt sie für absolut lebenswichtig. Wir stellten die Flasche auf das Regal, wo sie sie sehen, aber nicht erreichen konnte. Das beruhigte sie, und die nächsten dreizehn Jahre war sie lammfromm.«
    Sie schloß einstweilen die Kühlschranktür und stellte sich wieder an die Spüle, wo das Abwaschwasser inzwischen so weit abgekühlt war, daß sie das Fleischfach spülen konnte. Sie öffnete das Schränkchen unter der Spüle, und ich sah, wie ein finsterer Blick über ihr Gesicht huschte.
    »Was ist denn los?«
    »Henry hat nichts mehr von dem Backofenreiniger, den ich immer für diese Grillroste nehme.« Sie spähte noch einmal in das Schränkchen. »Na, dann muß ich mich eben ein bißchen mehr ins Zeug legen.«
    »Soll ich kurz zum Supermarkt gehen? Ich kann welchen besorgen. Das dauert keine zehn Minuten.«
    »Nein, ist schon in Ordnung. Ich kann immer noch einen Scheuerschwamm nehmen. Das wird im Handumdrehen sauber. Sie haben etwas anderes zu tun.«
    »Es macht mir überhaupt nichts aus. Ich habe mir zwar überlegt, ins Kino zu gehen, aber ehrlich gesagt, habe ich die Lust dazu verloren.«
    »Sind Sie sicher, daß es Ihnen nichts ausmacht?«
    »Pfadfinderehrenwort«, sagte ich.
    »Ich wäre Ihnen wirklich dankbar. Und Milch haben wir auch fast keine mehr. Wenn die Knirpse heute abend erst einmal ihre Milch mit Plätzchen verdrückt haben, ist nicht mehr genug fürs Frühstück da. Das ist wirklich schrecklich nett von Ihnen.«
    »Keine Ursache. Ich bin gleich wieder da. Was für eine Milch? Fettarme?«
    »Zwei Liter Magermilch. Ich versuche, den Jungs das Fett abzugewöhnen, wo immer ich kann.«
    Ich suchte in meiner Handtasche nach den Autoschlüsseln und schlang mir beim Hinausgehen den Trageriemen über die Schulter. Mein Auto hatte ich etwa zwei Häuser weiter geparkt. Ich ließ den Wagen an und fuhr los. An der Ecke Albanil und Bay bog ich rechts ab und fuhr an Buckys Haus vorbei, das zu meinem neuen Bezugspunkt in unserem Viertel geworden war. Vermutlich würde ich nie wieder an dem Haus vorbeikommen, ohne mich umzudrehen und einen Blick darauf zu werfen. Ich spähte die Einfahrt entlang zu der Wohnung über der Garage. Oben brannte Licht, und ich sah, wie sich ein Schatten an den Vorderfenstern vorbeibewegte.
    Ich hielt an und äugte zu der Wohnung hinauf. Ich glaubte nicht, daß jemand von den Lees zu Hause wäre. Meines Wissens saßen die drei noch bei Rosie’s beim Abendessen. Das Licht ging aus, und ich sah jemanden auf den dunklen Treppenabsatz herauskommen. Na, das war aber interessant. Ich entdeckte einen Parkplatz und hielt am Randstein an. Dann stellte ich Motor und Scheinwerfer ab. Ich drehte den Rückspiegel so, daß er die Einfahrt abdeckte, und ließ mich dann auf dem Sitz nach unten gleiten.
    Ein Mann kam mit einem schwer aussehenden

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