Letzte Einkehr: Tagebücher 2001-2009 Mit einem Prosafragment (German Edition)
zwischen fünf und sechs Uhr schrieb ich den Absagebrief ans Außenministerium, der zwar knallhart, doch konsequent ist, so konsequent, wie ich es in Anbetracht meines Lebenswegs nur sein kann. Natürlich weiß ich wohl, daß eine solche Konsequenz logischerweise Folgen hat und diese im allgemeinen nicht angenehm sind.
23 . Januar 2004 Den gestrigen Tag von Morgen bis Abend mit Briefeschreiben verbracht. Die Öffentlichkeit bringt mich um: Gestern mußte ich zwei weiteren Journalisten zusagen. Es muß eine radikale Entscheidung getroffen werden; die Organisation meines Lebens, von der wir beide nichts verstehen, weder M. noch ich, wird zu einer Frage von Leben und Tod. Wir leben ein Leben ohne Reiz, wie jemand, der für ein Haus spart und deswegen Überstunden macht, oder wie autistisch Besessene, die ausschließlich eine einzige – noch dazu unwesentliche – Tätigkeit zu betreiben imstande sind, darin erschöpft sich ihre physische und geistige Betätigung. Ich lese nicht mehr, ich schreibe nicht mehr; langsam sinke ich immer tiefer.
Sechs Uhr nachmittags. Die hysterische Unruhe von gestern ist heute heiterer Gelassenheit gewichen. Draußen minus fünf, sechs Grad, trockene Kälte, gerade stand die Sonne noch am strahlendblauen Himmel. Mittagessen mit Alexander Fest, dem vor einem guten Jahr ernannten neuen Rowohlt-Chef; ein sympathischer junger Mann, der Sohn von Joachim Fest. Er schlug mir ohne Umschweife vor, zu Rowohlt zurückzugehen. Es wäre zu überlegen. Am Nachmittag ein Telefoninterview für den
Spiegel
. Nun warte ich, daß sie den fertigen Artikel faxen. – Am Vormittag Anruf von Morcsányi, dem M. gestern mein Antwortschreiben an das Außenministerium gefaxt hatte: Er stimmt ihm zu. Auch er sieht es so, daß man mich zur «Lackierung» benutzen wollte; warnte mich nachdrücklich vor einer Teilnahme am Buch-Festival. Ich sagte ihm, daß wir schon zweimal abgesagt haben. – Unten in der Küche wird Kalbsgulasch zubereitet.
27 . Januar 2004 Früher Morgen, halb fünf. Heute fahren wir nach Hamburg, Reemtsma hat uns zum Abendessen eingeladen, morgen wird die Ausstellung eröffnet, bei der ich die Rede halten muß. Vorgestern Telefongespräch mit Ligeti; entmutigend. Überdies vergreife ich mich immer; zufällig kam ich auf sein Buch zu sprechen, begann es zu loben, worauf er den Hörer sofort an Vera gab. Er belegt seine Werke für sich mit einem Tabu – einerseits verstehe ich das vollkommen, andererseits beraubt er sich so der milden Freude befriedigter Eitelkeit, die – im Interesse der Gesundheit – jeder braucht. Ich zum Beispiel habe Gyuri Kleins lobende Worte aus Stockholm, wohin ich ihm die Reemtsma-Rede gefaxt hatte, mit großer Freude entgegengenommen. Sollte ich soviel schwächer sein? Ist es Schwäche, wenn wir uns an dem Gefallen freuen, den unsere Tätigkeit findet, die doch dazu dient zu gefallen? Einerlei. In den vergangenen paar Tagen habe ich M.s Gesellschaft genossen und mich eines frühen Morgens wieder an die
Letzte Einkehr
gesetzt. Ich führe den Text an einem sonderbaren unsichtbaren Faden, seine Spannung wird durch die Schluchten zwischen den Wörtern, den Sätzen aufrechterhalten. Wie ich es heute sehe, gehört die
Letzte Einkehr
eher zu
Liquidation
als zu
Ich – ein anderer.
Im Grunde ist der Erzähler der
Letzten
eine Komplementärfigur zum B. der
Liquidation.
Niemand wird das je verstehen. Ich mache quasi den Selbstmord B.s wieder gut – selbst wenn das in Form einer gnadenlosen Konfrontation mit dem Tod geschieht, der Darstellung eines Verfalls. Vorläufig macht mir die Arbeit viel Freude, obwohl noch eine Hausaufgabe auf mich wartet, das Nachwort zu Esterházys Buch: Ich hoffe, dabei hilft mir die große Sympathie, die ich für ihn habe.
31 . Januar 2004 Vor drei Tagen, am 27 ., mit dem frühen Nachmittags- ICE nach Hamburg. Abendessen bei Reemtsma. Eine Villa achtzig Meter über der Elbe. Nicht nur, daß er das Abendessen selbst gekocht hatte, er servierte es auch noch selbst. Er ist auffallend schlank – angeblich hat er 50 Kilo abgenommen; später erzählte Frau B., er habe Diabetes, noch als Folge der Erschütterungen von 1996 (als er von Kidnappern entführt worden war). Seine Frau, Frau B. und eine wissenschaftliche Mitarbeiterin, eine sehr sympathische Dame, etwa im siebten, achten Monat schwanger. Ich spreche immer schlechter Deutsch. Die Unterhaltung wechselt M. zuliebe ins Englische, das ich noch weniger verstehe. In das Klappern des
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