Letzte Ernte. Ein kulinarischer Krimi
bearbeiteten luxemburgische Anfragen zu Kennzeichen oder Personendaten direkt vor Ort. Aber ein Polizeieinsatz mitten in Paris war eine ganz andere Dimension. Kieffer vermutete, dass die Franzosen bei so etwas äußerst eigen waren und Gesuche aus dem Ausland zunächst einmal eingehend prüften.
»Also soll Valérie das einfach aussitzen?«
»Wäre mein Ratschlag. Es steht ihr natürlich frei, die Pariser Polizei anzurufen, wobei mir die Drohung wenig konkret erscheint. Wenn sie beunruhigt ist, soll sie einfach zu Hause bleiben, vielleicht mit einer Freundin.«
»Ich bin gerade auf dem Weg zu ihr«, sagte Kieffer.
»Gut. Wenn etwas ist, rufen Sie mich an. Ansonsten erwarte ich Madame Gabin morgen um zwölf Uhr am Quai des Orfèvres.« Dann legte Lobato grußlos auf.
11
Kurz vor sechs erreichte Kieffers TGV die Gare de l’Est. Er stieg in die Métro, fuhr bis Sèvres-Lecourbe und ging von dort bis zur Avenue de Breteuil, einem breiten Haussmann’schen Boulevard, der von Süden her auf den Invalidendom zulief. In dieser Straße befand sich der Hauptsitz des Gabin-Imperiums, standesgemäß untergebracht in einer prächtigen Stadtresidenz aus dem siebzehnten Jahrhundert, die einst dem Bruder Louis XIV. gehört hatte.
Bei Sterneköchen führte mitunter schon die Erwähnung der Adresse 51, Avenue de Breteuil zu Schweißausbrüchen. Noch schlimmer war es, wenn man sie aufsuchen musste. Sobald der Guide einen Küchenchef zu einem persönlichen Gespräch ins Hauptquartier vorlud, fragte sich dieser natürlich, ob möglicherweise einer seiner Sterne in Gefahr war. Kieffer hatte von diesen Treffen gehört. Der Gabin bestellte die Köche aus heiterem Himmel ein, nie gab es einen ersichtlichen Anlass. Während des Gesprächs versuchten die Köche verzweifelt herauszufinden, was sie zu tun oder vielleicht zu lassen hatten, damit der Guide zufrieden war. Doch es gab keine konkreten Hinweise, bestenfalls fielen Andeutungen: Ja, die Weinkarte im Tour d’Or sei ganz hervorragend. Aber einige der Bordeauxlagen … Ganz exzellent habe der Gabin-Inspektor bei seinem letzten Besuch den Salat vom Kalbshirn gefunden. Aber der im »Fluide« sei ebenfalls sehr gut. Die bemitleidenswerten Köche, die während dieser Rapporte wie Schuljungen bei der mündlichen Prüfung auf ihrem Stuhl hin- und herrutschten, verließen das Gebäude nach dem Gespräch meist in heller Aufregung.
Kieffer war während seiner Zeit als Souschef eines Sternerestaurants zum Glück nie in die Avenue de Breteuil einbestellt worden. Und sein »Deux Eglises« besaß keine Sterne, man konnte ihm also nichts wegnehmen, was Besuche beim Guide Gabin wesentlich angenehmer machte. Er warf die Zigarette weg und betrat das Foyer des Gebäudes, eine von pausbäckigen Cherubim besiedelte Halle, mit Säulen aus roséfarbenem Marmor. Der Saal wurde von einem großen, mit viel Gold intarsierten Eichentresen dominiert, über dem ein fünfzackiger Stern mit einem großem G in der Mitte angebracht war. Die Rezeptionistin kannte ihn bereits. »Guten Abend, Monsieur Kieffer. Ich sage Madame Bescheid, dass Sie hochkommen.«
Er nickte, lief rechts an dem Schalter vorbei und stieg die Freitreppe empor. Valéries Büro befand sich im dritten Stock, auf der Straßenseite; man konnte von dort auf die Place de Breteuil hinunterschauen und rechter Hand sogar eine Rundung der Domkuppel erhaschen. Durch die Glastür sah er, wie sie konzentriert auf einen riesigen Bildschirm starrte. Die Jeans und die Chucks waren ebenso verschwunden wie das T-Shirt mit dem kleinen Koch. Valérie trug nun einen blauen Blazer und eine weiße Bluse. Sie lächelte, als sie Kieffer bemerkte und winkte ihn herein.
»Gut, dass du da bist, Xavier.« Valérie drückte ihn an sich. Sie roch nach Chanel und Gauloises. Über ihre Schulter hinweg sah Kieffer, dass der Aschenbecher auf dem Schreibtisch überquoll. Seine Freundin kam normalerweise mit zwei Schachteln pro Woche aus. Nur wenn sie nervös war, qualmte sie wie ein Schlot. Er gab ihr einen Kuss auf die Nasenspitze und deutete auf den Ascher.
»Du rauchst zu viel, Val.«
Sie musterte ihn spöttisch: »Sagt Mister-dreihundert-Ducal-die-Woche.«
»Ich bin nur besorgt, weil du sonst nicht so viel paffst.«
Sie betrachtete den Aschenbecher. »Stimmt. Aber diese Sache zehrt ganz schön an meinen Nerven.« Sie schaute ihn an. »Ich werde ja öfters mal beschimpft, meist wegen unserer Restaurantkritiken, manchmal droht mir auch einer. Deshalb dachte ich, ich
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