Letzte Gruesse
- sie fassen sich an den Händen und nehmen ihn in die Mitte! Und unten stehen sie mit Ferngläsern und rufen:«Sie haben es geschafft!»
Es war eng in der Maschine, die Fluggesellschaft holte das Letzte heraus aus ihrem Fuhrpark. Es war sogar enger als gewöhnlich. Wer hier ein steifes Bein hatte, befände sich in einer prekären Lage, kein zweiter Sitz war vorhanden, um es darauf zu betten. Das Kopfpolster, Bequemlichkeit vortäuschend, zwang auch hier den Kopf nach vorn, eine wahre Marter! Als Alexander das mitkriegte, dachte er, ich halte es nicht aus. Warum bin ich nicht zu Hause geblieben? Ich halte das keine fünf Minuten aus! Und doch mußte er Stunden ausharren in dieser Lage.
Neben ihm saß eine zierliche, schwarzhaarige Frau. Er kam gut aus mit ihr, um die Armlehne gab es kein diskretes Geschiebe. Sowtschick hielt sich zurück, und auch die Frau verzichtete von sich aus.
Sie war von spanischem Typ, und sie nahm die Gelegenheit wahr und beschäftigte sich damit, ihre Nägel zu feilen, was ein schabendes Geräusch verursachte. Schrab-schrab-schrab … Es geht gegen den Strich, dachte Alexander. Manchmal, wenn die Maniküre ein Ausholen erforderte, stieß sie ihn eben doch leicht an.
Es war laut in dem Flugzeug. Aus den hinteren Regionen wallte ab und zu ein Lachschwall über die Passagiere hin, da saßen Männer, die Bier tranken. Schwere Kerle, von denen man nicht glauben konnte, daß es die Angst vorm Fliegen war, die sie mit Alkohol betäubten.
Hinter Alexander erzählten sich zwei Frauen was, und sie taten es laut. Aber nicht laut genug für Alexander, der kriegte nicht mit, worum sich’s dreht. Für Sprachstudien war das ungeeignet, etwas Allgemein-Menschliches konnte man aus dem Tonfall entnehmen, aber das nützte ja auch nichts. Handelte es sich um Schwiegertöchter?
Alexander mußte es ertragen, sein kostbares Ohropax lag im SAS-Necessaire, und das befand sich im Gepäck.
Zu allem Übel alberten da noch Kinder miteinander. Fehlte bloß, daß sie Dritten abschlagen gespielt hätten.
Alexander hatte einen Fensterplatz. Ob der große Fluß, der sich da unten so majestätisch schlängelte (ganz ähnlich wie zu Hause in Sassenholz die Eische, nur natürlich viel größer …), ob das der Mississippi war, interessierte Alexander. Es stand zu vermuten! Er würde später ohne weiteres sagen können, daß er über den Mississippi hinweggeflogen sei. Die Pyramiden gesehen, das Tadsch Mahal und nun auch noch den Mississippi. Aufblitzend von Sonnenstrahlen, die immer wieder unversehens darauffielen, schlängelte er sich dahin, unter Dunst und aufreißenden Wolkenschleiern.
«Er nimmt mit sich die Bilder froher Tage», dachte Sowtschick,
«und manche liebe Schatten steigen auf …»- Tom Sawyer und Huckleberry Finn fielen ihm ein. Und: Gerstäcker:«Die Flußpiraten des Mississippi». Daß er das Buch bei Fliegeralarm gelesen hatte, graues Leinen mit dunkelbraunem Aufdruck, auch daran erinnerte er sich, fünfzig Jahre her, im Luftschutzkeller. Die Flak schoß, und Maschinen brummten über die Stadt hinweg. Amerikaner waren es gewesen, die ihre Bombenklappen öffneten zu Reihenwürfen … und nun flog er hier über den Mississippi hinweg gen Westen, als Kulturträger von einiger Bedeutung.
Jetzt schoben sich Wolken über das grandiose Panorama. Wer Wolken zum ersten Mal von oben sieht, kann sich nicht satt sehen daran. Die Sache mit den Wattebäuschchen. Aber irgendwann reicht es.
Ob dies der Fluß aller Flüsse war? - Alexander hatte keine Möglichkeit, das in Erfahrung zu bringen. Die Stewardeß brauchte er nicht danach zu fragen, die hatte von Geographie gewiß keinen Schimmer. Eine Erwähnung des Ol’ Man Rivers würde sie sehr verwundert haben. Alexander hätte ihr den Song vom Ol’ Man River vorpfeifen können, aber auch das hätte wohl nur Befremden augelöst.
Oh, my old Nelly Grey,
they have taken you away,
and I never see my darling any more …
Bei nächster Gelegenheit einen Taschenatlas kaufen. Es war eine Niederlage für Alexander, daß er ohne Atlas losgefahren war. Aber der läge ja jetzt auch im Gepäck.
Alexanders Nachbarin hatte ihr Pflegebesteck weggesteckt. Schade, daß ich ihr nichts vorzaubern kann, dachte er. Serviettenscherze oder Pingpongsachen. Wenn er es gekonnt hätte, dann hätte er die Kinder herbeigerufen um ihnen was mit den Ohren vorzuwackeln.
Aus Mexiko schien die Nachbarin zu kommen, aus dem Lande Huizilopochtlis, das nun mit einem Drahtzaun
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