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Letzte Haut - Roman

Letzte Haut - Roman

Titel: Letzte Haut - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthes und Seitz Verlag GmbH
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Zwischenzeit die breiten Eingangsstufen des weiß gestrichenen Herrenhauses hochgestiegen und machte auf der Veranda seine Meldung.
    „Kommen Sie mit in mein Büro“, sagte Obersturmbannführer Ledig und warf die angerauchte Zigarette weg, während Sturmmann Schmelz sich wie in Trance bewegte. Als befände er sich in einer Blase aus Leere, die ihre Größe aus seinem eigenen Hirn erhalten würde, meinte er später. Wie im Vakuum und mit Nebel in den Ohren stolperte Sturmmann Schmelz über die Eingangsstufe, stieß an im Flur aufgestellte Büsten und musste sich im Arbeitszimmer des Obersturmbannführers kurzzeitig am Türrahmen festhalten, ehe er den Weg zum Stuhl in Angriff nehmen konnte, der ihm angeboten wurde. Erleichtert ließ er sich fallen und rüttelte mit den Zeigefingern an den Ohrmuscheln. Er öffnete und schloss ein paar Mal den Mund, doch noch immer hörte er nichts. Gar nichts. War das nicht komisch?
    „Also Sie sind Kurt Schmelz!“, sagte der Obersturmbannführer: „Eine wahre Legende! – Was machen Sie denn da?“

„Ich höre nichts. Gar nichts. Kein Detonieren, gar nichts.“
    „Weil es hier nichts zu hören gibt, Sturmmann! Das ist die Ruhe! Wohl vergessen, was?“
    Sturmmann Schmelz nickte. Ja, sicher, tatsächlich, wohl vergessen. Dieses Vakuum war also die Stille. Er schüttelte unmerklich den Kopf und versuchte, sich an diesen Nebel in den Ohren zu gewöhnen.
    Erst erstaunt, dann aber wohlwollend musterte ihn der Vorgesetzte, und Schmelz, nicht mehr geübt in Dingen der Konversation, senkte den Blick und schob sich die Hände flach unter die Schenkel. Am liebsten wäre er aufgesprungen und hätte nachgefragt, wie der Befehl laute. Er wollte nur den Befehl hören und ihn dann ausführen, Sturmmann Schmelz wollte auf keinen Fall hier herumsitzen und in Diskussionen verwickelt werden. Was sollte das? Was sollte das alles auch bringen? Er hob den Blick, sah dem Obersturmbannführer ganz kurz in die Augen, zuckte zusammen, als in der Ferne eine Bombe detonierte, lächelte erleichtert und tastete nach seiner Pistole, die sich vorschriftsmäßig im Halfter befand.
    Der Obersturmbannführer riss sich bei dieser impulsiven Bewegung vom Anblick des Sturmmanns los, erhob sich und befahl Schmelz, sich ebenfalls zu erheben, der sofort gehorchte, so froh, einen Befehl ausführen zu können, eine Tat zu begehen, die das Warten verkürze und mit deren Hilfe er das Schweigen hinter sich lassen könne. Er stand stramm, hörte mit starrem, nach vorne ins Leere gerichtetem Blick zu und war bemüht, sich kein einziges Wort entgehen zu lassen. Die ganze Zeit hielt er die Hände mit den Daumenseiten vorschriftsmäßig an die gedachte Hosennaht und atmete flach.
    „Also, Befehl vom Reichsführer SS. Schmelz, Sie haben sich in den Augen des Reichsführers SS an der Front bewährt und werden nun mit sofortiger Wirkung aus der SS Division Wiking abgezogen“, sagte Obersturmbannführer Ledig mit tonloser Stimme und wartete auf eine Reaktion des Sturmmanns.
    „Nun?“, fragte er aufmunternd, doch Sturmmann Schmelz blieb stramm stehen und reagierte nicht einmal mit einem Blinzeln.
    Enttäuscht räusperte sich Obersturmbannführer Ledig und fuhr fort: „Des weiteren werden Sie mit sofortiger Wirkung wieder in Ihren früheren Rang als SS Obersturmführer eingesetzt.“
    Noch immer keine Reaktion! Unwirsch blickte der Obersturmbannführer dem Untergebenen ins Gesicht, der aber weiter ins Leere blickte und krampfhaft versuchte, den Sinn all dieser Wörter zu erfassen. So viele Wörter! Wann hatte er das letzte Mal so viele Wörter aufnehmen müssen? Er unterdrückte ein Seufzen und spürte, dass es noch immer nicht vorbei sei. Wann konnte er endlich mit diesen Worten aus diesem Zimmer verschwinden, um sie in einer Ecke zu begreifen und sie sich verständlich zu machen? Kurt Schmelz hoffte, es würde nicht mehr all zu lange dauern, denn all zu viele Sätze könne er nun auch wieder nicht behalten.
    Unruhig wurde er, und allmählich bekam er Angst. Eine kalte, hässliche Angst, die er im Feld niemals gespürt hatte. Oh, fast sehnte er sich zurück an die Front, trieb ihm die Gegenwart dieses hohen Offiziers, mit dem er ganz alleine im Raum war, nicht sogar erst den Schweiß auf die Stirn? Doktor Kurt Schmelz straffte sich, um auch den Rest der Sätze nur ja nicht zu verpassen, was immer ihm da auch gesagt wurde.
    „Ferner werden Sie, Obersturmführer Schmelz, wieder als SS Richter eingesetzt. Sie sind ab jetzt wieder

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