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Letzte Haut - Roman

Letzte Haut - Roman

Titel: Letzte Haut - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthes und Seitz Verlag GmbH
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als Ermittlungsrichter in der SS tätig, haben Sie mich verstanden?“
    Wieder? Wieso wieder? Wieso sagte denn der Obersturmbannführer Ledig dieses Wort? War er nicht immer schon an der Ostfront gewesen? Er war doch nur ein Marschierender unter Marschierenden! Er befand sich in einem Marsch, der schon seit Ewigkeiten existierte! Verdammt, was wollte der Mann vom ihm? Kurt Schmelz versuchte sich zu konzentrieren. Er überlegte, was vor dem Marsch gewesen sein könnte, aber vorerst kam er nicht darauf. Irgendwas an der Odermündung, ja sicher, ein schönes Besäufnis mit alten Fischern, eine ganze Nacht durch, aber was sollte das mit – aber ja, sicher, er war Richter! Tatsächlich! Er hatte studiert und war zum Richter ernannt worden! Natürlich, er war ein Ermittlungsrichter gewesen! Natürlich, er war einmal ein Mann gewesen, der Träume gehabt hatte, ein Mann, der an seine Träume geglaubt hatte. Aber ja! Er war ein junger, aufstrebender Mann gewesen, so, und nun nur noch dieses Wort wieder in Bezug gesetzt, Moment, Moment, Kurt Schmelz spürte, wie das Denken allmählich wieder in Gang kam. Wörter in Beziehungen setzen, daraus bestand das Denken, also, frisch ans Werk! Kurt Schmelz spürte sein Herz, das den Rhythmus beschleunigt hatte. Die Bedeutungen der Worte, an sie musste er sich wieder erinnern. Diese Bedeutungen musste er mit Hilfe der Sprache gebrauchen. Die Sprache selbst ist ja leer, dachte er, also Schmelz, du Sau, pumpe sie auf! Alles rein, alles rein, was da ist, zack, zack!
    „Na endlich“, sagte Obersturmbannführer Ledig: „Sie können ja doch lächeln! Nur Mut!“
    „Jawohl!“, schrie Kurt Schmelz, der instinktiv auf das Wort Mut reagiert hatte: „Jawohl!“
    „Außerdem sind Sie mit sofortiger Wirkung Beamter der Kriminalpolizei Berlin und direkt dem Gruppenführer Nebe unterstellt, dem Leiter der Kripo im Hauptamt, falls Sie das vergessen haben sollten, kapiert?“
    Obersturmführer Doktor Kurt Schmelz nickte zwar, aber nun hätte er doch gerne gefragt, wohin das alles führen solle und was das bedeute und was das alles mit ihm zu tun habe. Ob der Obersturmbannführer Ledig so nett wäre, es ihm zu erklären?
    „Sie werden in zwanzig Minuten von hier aus nach Berlin geflogen, wo Sie sich umgehend im Hauptamt melden werden. Sie gehen direkt zum Gruppenführer Nebe, kapiert! Er erwartet Sie noch heute, und Sie müssen bis achtzehn Uhr bei ihm gewesen sein, verstanden! Das ist absolut kriegswichtig! Sie werden mit einer Sondermaschine geflogen. Sie dürfen jetzt etwas sagen“, meinte der Obersturmbannführer, aber dem Obersturmführer fiel nichts ein, was er hätte sagen können. Er starrte weiter die Wand an, die Einschusslöcher in Kopfhöhe aufweise, wie er routiniert bemerkte.
    „Mann, Sie sind der Hölle hier entkommen, kapieren Sie endlich!“, fauchte ihn der Obersturmbannführer Ledig an: „Sie dürfen sich ruhig freuen! Wir gehen hier alle drauf, falls Sie das noch nicht gemerkt haben, aber Sie sind raus! Sie sind raus, Obersturmführer Doktor Kurt Schmelz. Sie sind raus!“
    „Zu Befehl!“, schrie Schmelz, über den Gefühlsausbruch des Obersturmbannführers erschrocken: „Ich bin raus! Gestatten Sie, dass ich wegtrete? – Ich bin raus!“
    „Erlaubnis erteilt! Ein komischer Vogel sind Sie! Undurchschaubar! – Hier, schriftlicher Stellungsbefehl, Ernennungsurkunden, nehmen Sie! Wegtreten, los, los! – Die Uniform eines Obersturmführers haben wir hier gerade nicht vorrätig. Sie müssen sich mit diesen Schulterklappen hier begnügen. Heften Sie sie sich selbst an, Abflug! Zack, zack!“
    Schneidig vollführte Obersturmführer Schmelz eine halbe Drehung und marschierte mit den Papieren in der Hand zackig aus dem Zimmer des enttäuschten Obersturmbannführers Ledig, der sich so darauf gefreut hatte, leuchtende Augen zu sehen. Wie gerne hätte er ein wenig Freude geschenkt! Ein herzliches Lächeln! So gerne hätte er Glück in den Augen eines Kameraden gesehen, um sich ein wenig lebendiger zu fühlen. Aber was passierte? Stattdessen marschierte der hier stocksteif raus, als wäre er in Kriegsgefangenschaft geraten! Obersturmbannführer Ledig griff zu einer neuen Zigarette, um sie gleich darauf wieder auszudrücken. Lagebesprechung. Was soll’s! Es galt, eine Schlacht mehr zu gewinnen! Vorwärts Kameraden, wir müssen zurück, dachte er, während zur gleichen Zeit Großadmiral Karl Dönitz die Unterseebootschlacht im Atlantik abbrach, um technische Verbesserungen

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