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Letzte Haut - Roman

Letzte Haut - Roman

Titel: Letzte Haut - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthes und Seitz Verlag GmbH
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landeten und die Rote Armee die alte polnische Grenze überschritt. Sommer trug Häftlingskleidung.
    Des ständigen Schlafentzugs wegen lagen seine Augen tief in den Höhlen, und hohlwangig stand er an der nackten Kellerwand, an der er früher Hunderte Häftlinge ausgepeitscht hatte. Der Ermittlungsrichter sah ihm in die Augen und bedeutete seinen beiden Kollegen, Sommer zum Verhörstuhl zu bringen.
    Hauptscharführer Martin Sommer wurde von Tarnat und Liebig zum Stuhl gebracht, sie legten ihm die Hände so schwer auf die Schultern, dass er leicht gekrümmt ausharren musste.
    „Zweiter Januar vierundvierzig, wie lange machen wir diese nächtlichen Verhöre schon, Sommer?“, fragte der Ermittlungsrichter.
    „Antworte!“, sagte Liebig, packte das Genick des Verhörten und drückte langsam zu.
    Sofort schrie Sommer auf und flüsterte mit geschlossenen Augen: „Ich weiß das doch auch nicht. Einen Monat oder zwei? Jede Nacht jedenfalls, jede verdammte Nacht! Am Tage muss ich Knöpfe annähen, und wenn ich endlich liege, dann werde ich aus dem Schlaf geprügelt. Vier Wochen lang, ich habe niemals über vier Stunden geschlafen. Wenn ich die Anzahl Knöpfe nicht schaffe, werde ich misshandelt, wenn ich …“
    „Jetzt wird der Mistkerl noch sentimental!“, schrie Doktor Tarnat dazwischen, der eine Menge Erfahrung im Umgang mit unterbelichteten Tätern hatte. Er gab Sommer einen Stoß zwischen die Schulterblätter, den dieser regungslos hinnahm.
    Schmelz richtete die Tischlampe auf Sommers übermüdete Augen und beugte sich über den Tisch. Liebig hielt Sommers Kopf so, dass der Hauptscharführer dem Licht nicht ausweichen konnte, und Tarnat zog ihm die Augenlider immer wieder hoch, woraufhin der ehemalige Arrestbunkeraufseher sich nach wenigen Sekunden wild zu wehren versuchte.
    „Entweder Sie reden heute“, flüsterte Schmelz, während er sein Gesicht dicht vor das von Sommer schob: „Oder Sie reden niemals wieder. Wir werden heute Nacht Ihre Methoden anwenden. Wir werden Sie quälen, wir werden Sie verstümmeln, wir werden Sie wegwerfen, und wir werden schreiben, ‚auf der Flucht erschossen‘, genauso, wie Sie es immer von Hoven haben schreiben lassen, wenn Sie Ihre sadistische Neigung nicht im Griff hatten. Doktor Hoven ist ein Ehrenmann, er hat gestanden, er steht zu seiner Schuld, aber du, du blöder Hund, Sommer, um dich machen wir nicht so ein großes Gewese! Acht Jahre hier in Buchenwald und nicht ein einziges Mal befördert worden, das sagt doch schon alles! Was bist du denn? Ein kleines Licht! Kein Hahn wird nach dir krähen, Sommer, all deine Vorgesetzten haben dich bereits abgeschrieben. Und weißt du, warum? Weil du ihnen egal bist. Koch hat dich fallengelassen, Hackmann hat dich fallengelassen, und Pister hat freudig zugestimmt, als ich ihn bat, dich einsperren zu dürfen, dich verhören zu dürfen, so sieht es aus, Sommer! Entweder redest du heute und rettest so dein schäbiges Leben, oder du stirbst heute Nacht in diesem Zimmer! Und keinen wird es interessieren! Niemanden, du Drecksau! Wir spritzen nachher einfach alles mit Wasser aus, dein dreckiges Blut fließt da in den Gully, und das war es dann, Akte Sommer abgeschlossen! Fertig“, sagte der Ermittlungsrichter, der von den Fachleuten der Kriminalpolizei in Berlin eine kriminalpsychologische Studie über Sommer hatte anfertigen lassen, in der stand, Sommer habe einen sadistischen Charakter und unterdurchschnittlich ausgeprägte Fähigkeiten. Man müsse ihm mit scharfem Geist und unerbittlicher Härte begegnen und sein soldatisches Pflichtgefühl kränken.
    Sommer versuchte das Gesicht aus dem blendenden Lichtkreis zu bringen, aber die Kriminalbeamten gaben ihm keine Möglichkeit dazu. Er begann zu schreien, wofür er von Schmelz Ohrfeigen bekam, die ihn nur noch wütender machten. Faustschläge! Faustschläge, das wäre auszuhalten gewesen, meinte Sommer empört, aber Ohrfeigen!
    Als er sich endlich beruhigt hatte, sagte Schmelz zu ihm: „Du bist ein feiges Arschloch! Du bist es nicht wert, Soldat genannt zu werden. Du gehörst aus der Waffen SS geworfen! Du stehst nicht zu dem, was du getan hast, du bist unehrlich und einfach nur schäbig! Schäbig, pervers und gemein. – Schlagt ihn tot, den Bastard!“
    „Nein“, röchelte Sommer: „Warten Sie! Bitte! Ich bin ein Soldat! Gut und ehrlich! Ich habe nur auf Befehl gehandelt! Ich bin zuverlässig, der zuverlässigste hier im ganzen Lager!“
    „Auf wessen Befehl?“
    „Na, auf den von

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