Letzter Akt in Palmyra
daß mehr dahinter war.
Die Leiche war für den Bruder nützlich geworden. Es war gut möglich, daß die vernünftigen Nabatäer sich zu einem späteren Zeitpunkt unter vorher ausgehandelten Bedingungen dem Römischen Reich anschließen würden – aber nicht ohne umfassende Vorbereitungen. Keine störenden Gerüchte durften die Geschäfte vorzeitig stören. In diesem Stadium mußte der Bruder vor seinen Landsleuten verheimlichen, daß er mit einem offiziellen Abgesandten Roms gesprochen hatte.
Plötzlich war meine Befragung beendet. Der Bruder teilte mir mit, daß er mich am nächsten Tag erneut zu sprechen wünschte. Er warf dem jungen Priester einen kurzen, eindringlichen Blick zu, sagte etwas auf Arabisch und befahl ihm dann auf Griechisch, mich zu meiner Unterkunft zu geleiten. Was das bedeutete, verstand ich nur allzu gut: Ich war auf Bewährung freigelassen. Man würde mich beobachten und mir nicht erlauben, Orte zu erkunden, die sie geheimhalten wollten. Ich würde nicht mehr frei mit der Bevölkerung reden können. Die Entscheidung, ob ich Petra verlassen durfte oder nicht, würde ohne mein Wissen gefällt werden und keinen Widerspruch zulassen.
Von jetzt an würde der oberste Minister immer genau wissen, wo ich mich aufhielt. All mein Tun und selbst mein Weiterleben waren allein von seiner Laune abhängig. Ja, er wirkte auf mich wie einer jener unzuverlässigen Potentaten, die einen mit einem Lächeln und der Einladung zu Pfefferminztee und Sesamplätzchen am nächsten Tag entlassen, nur um eine halbe Stunde später seinen Henker hinterherzuschicken.
Ich wurde aus dem Heiligtum eskortiert. Was für die Leiche geplant war, wußte ich nicht und fand es auch nie heraus. Aber es sollte nicht meine letzte Verbindung zu dem Mann gewesen sein, den ich auf dem Hohen Opferplatz gefunden hatte.
XI
Helena erwartete mich in unserem Quartier. Da sie Schwierigkeiten ahnte, hatte sie ihr Haar ordentlich in ein verziertes Netz geschlungen, das sie bei unserem Eintreten allerdings sittsam mit einer weißen Stola bedeckte. Eine diskrete, mehrreihige Perlenkette hing gleichmäßig auf ihrem hübschen Busen; an ihren Ohrläppchen blitzte es golden. Sie saß sehr aufrecht. Ihre Hände waren gefaltet, die Fesseln überkreuzt. Sie schaute ernst und erwartungsvoll. Die von ihr ausgehende Ruhe sprach von Kultur.
»Das ist Helena Justina«, informierte ich den jungen Priester, um ihm klarzumachen, daß sie mit Respekt zu behandeln war. »Ich bin Didius Falco, wie Sie wissen. Und Sie sind?«
Diesmal konnte er nicht ausweichen. »Ich heiße Musa.«
»Der Bruder hat uns zu seinen persönlichen Gästen erklärt«, klärte ich Helena auf. Vielleicht konnte ich dem Priester Gastgeberpflichten aufdrücken. (Vielleicht auch nicht.) »Musa soll sich auf Bitte des Bruders um uns kümmern, solange wir in Petra sind.«
Ich sah, daß Helena verstanden hatte.
Jetzt kannten wir uns ja alle. Nun ging es ans Kommunizieren.
»Wie steht es mit den Sprachkenntnissen?« fragte ich, die Höflichkeit in Person. Gleichzeitig überlegte ich fieberhaft, wie ich Musa abschütteln und Helena in Sicherheit bringen konnte. »Helena spricht fließend Griechisch, weil sie immer den Erzieher ihrer Brüder entführt hat. Musa spricht Griechisch, Arabisch und sicher auch Aramäisch. Mein Latein ist nicht das vornehmste, aber ich kann einen Athener beleidigen, die Speisekarte in einer gallischen Kneipe lesen oder einen Kelten fragen, was es zum Frühstück gibt … Laßt uns bei Griechisch bleiben«, schlug ich galant vor und fiel sofort in eine üble Form lateinischen Gassenjargons. »Was gibt’s Neues, Puppe?« fragte ich, als würde ich sie auf dem Fischmarkt des Aventin anquatschen. Wenn Musa mehr Latein verstand, als er zugab, würde ihn das aus dem Konzept bringen. Das einzige Problem war, daß eine ehrbare junge Patrizierin, geboren in einer Villa am Capena-Tor, mich womöglich auch nicht verstand.
Ich half Helena, ein paar Oliven auszupacken, die wir am Morgen gekauft hatten; es schien Jahre her zu sein.
Helena verteilte geschäftig Salat in drei Schüsseln. Sie antwortete so nebenbei, als ginge es um eingelegte Bohnen und Kichererbsen: »Als ich vom Opferplatz herunterkam, sprach ich mit einem Wachmann, der vor dem Theater stand …« Sie beäugte einen sonderbar aussehenden weißen Käse.
»Schafsmilch«, sagte ich fröhlich auf Griechisch. »Oder Kamelmilch.« Ich war mir nicht sicher, ob das sein konnte.
»Ein paar Leute müssen das
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