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Letzter Kirtag: Ein Altaussee-Krimi

Letzter Kirtag: Ein Altaussee-Krimi

Titel: Letzter Kirtag: Ein Altaussee-Krimi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Herbert Dutzler
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hinterlassen hat.“ Gasperlmaier fragte sich, warum dieses Kriterium eine Rolle spielen sollte. Schließlich konnte man jemanden genauso gut im Vorbeigehen erschlagen. Oder viel wahrscheinlicher blieb man in der Regel doch stehen, wenn man vorhatte, jemanden aus dem Diesseits zu entfernen, korrigierte er sich selbst.
    Die Frau Doktor Kohlross schritt auf die Plane zu und hob sie an. Zunächst kamen nur Haferlschuhe und grüne Stutzen zum Vorschein, denn die Frau Doktor hatte das Fußende der Leiche erwischt. Sehr hilfreich, dachte Gasperlmaier, war das für die Identifizierung des Toten nicht, denn die zur Lederhose getragenen Schuhe und Stutzen waren vor allem in diesen Tagen mehr eine Uniform als ein Merkmal, das einen unter vielen hervortreten ließ. Die Frau Doktor ließ das angehobene Ende wieder sinken, ging auf die andere Seite und lupfte die Plane dort. Gasperlmaier merkte, wie sie förmlich erstarrte. Sekundenlang sah sie unter die Plane auf etwas, das Gasperlmaier selbst nicht sehen konnte, da er in der Nähe des Fußendes stehen geblieben war. Auf nüchternen Magen hatte er keine besondere Lust zur Leichenbesichtigung, wie ihm überhaupt der Umgang mit kürzlich Verstorbenen bereits zum Hals herauszuhängen begann.
    Die Frau Doktor ließ die Plane sinken und starrte Gasperlmaier und dem Kahlß Friedrich, der jetzt erst, seiner Atemnot wegen, bei ihnen angelangt war, ins Gesicht. Sehr blass war sie geworden, die Frau Doktor, aber das, dachte Gasperlmaier, machte sie auf keinen Fall weniger attraktiv.
    „Der Stefan Naglreiter!“, hauchte die Frau Doktor mehr, als dass sie es sagte. Nun war es an Gasperlmaier zu erstarren. Immerhin hatte er gestern noch mit ihm gesprochen. Und es war das erste Mal in seinem Leben, dass da einer tot vor ihm lag, der ihm am Vortag noch quicklebendig gegenübergestanden war.
    „Ich brauch jetzt eine Zigarette!“, sagte die Frau Doktor Kohlross, ging zum Jagdhaus hinüber und rutschte kraftlos mit dem Rücken an der Wand hinunter. Ihre verschränkten Arme ließ sie auf die angezogenen Beine sinken, darauf fiel der Kopf. Gasperlmaier war sich unsicher, ob er zuerst der sichtlich fassungslosen Frau Doktor beistehen oder sich die Leiche ansehen sollte. Das Pflichtgefühl siegte nach kurzem innerlichem Geplänkel, schließlich musste er sich auch selbst davon überzeugen, dass unter der Plane der Leichnam des Stefan Naglreiter lag. Entschlossen schritt Gasperlmaier zu jenem Zipfel der Plane, den die Frau Doktor angehoben hatte, viel weniger entschlossen fasste er nach ihm, und noch viel weniger entschlossen lupfte er die Folie nur zentimeterweise. „Was tust denn so herum!“ Der Kahlß Friedrich war neben ihn getreten, riss ihm den Folienzipfel aus der Hand und schlug die Plane zurück, sodass der Kopf, die rechte Schulter und ein Teil der Brust des Toten zu sehen waren. Ohne Zweifel war es der Stefan Naglreiter. Leere Augen starrten den Gasperlmaier direkt an, der zunächst die seinen schloss und dann eine Hand vor das Gesicht hielt, weil er dem Blick des Toten nicht standzuhalten vermochte. Kurz überkam ihn Übelkeit, doch dann siegte die Neugier. Schlimm sah der Stefan aus. Aus den Nasenlöchern war Blut gedrungen, und vertrocknete Rinnsale von Blut zogen sich von der Oberlippe über die rechte Wange hinunter. Auch aus dem Mund hatte der Tote geblutet, vor allem sein rechter Mundwinkel war blutverschmiert, ein Klumpen offenbar geronnenen Blutes klebte dort. Wo das rechte Ohr des Toten gewesen war, konnte Gasperlmaier lediglich eine blutige Masse gequetschten Fleisches wahrnehmen. Nun wurde ihm regelrecht übel, rasch drehte er sich um, entfernte sich von der Leiche zum Waldrand hin und versuchte mit aller Macht einen Würgreflex zu unterdrücken, der ihn mit einem Mal im Griff hatte. Nach ein paar keuchenden Atemzügen gelang es ihm, an einen Baum gelehnt, sich ein wenig zu fangen und tief durchzuatmen. Gasperlmaier drehte sich um und sah den Kahlß Friedrich immer noch ungerührt neben dem Toten stehen, während die Frau Doktor den Kopf wieder gehoben hatte und eine brennende Zigarette zwischen den Fingern hielt. Gasperlmaier machte sich auf den Weg zu ihr hinüber, und als er neben der Frau Doktor im Schatten der Hütte angekommen war, hockte er sich ebenfalls hin, weil es ihm unangenehm war, so über der Frau Doktor zu stehen und auf sie hinabzustarren.
    Die Frau Doktor nahm einen tiefen Zug aus ihrer Zigarette und ließ den Rauch langsam durch die Nasenlöcher

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