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Letzter Mann im Turm - Roman

Letzter Mann im Turm - Roman

Titel: Letzter Mann im Turm - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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etwas
wollen.
Jeder, der hier lebt, weiß, dass die Inseln beben und der Mörtel der Stadt sich auflösen und Bombay sich wieder in sieben kleine Steine verwandeln wird, die im Arabischen Meer glitzern, sollte es jemals vergessen, die Frage
Was willst du?
zu stellen.
    Wie immer wurde das Mittagessen bei den Pintos um 13.15 Uhr serviert. Nina ging um den Esstisch und schöpfte dampfendes Krabbencurry auf Teller mit weißem Reis. Als sich Masterji auf seinem Stuhl niedergelassen hatte, fragte Mr Pinto: «Ist Ihr Telefon kaputt?»
    Masterji, der gerade eine Krabbe mit seiner Gabel aufspießen wollte, blickte auf.
    «Warum fragen Sie?»
    «Nur so», sagte Mr Pinto und vermischte Curry und Reis.
    Kurz vor 14 Uhr verabschiedete sich Masterji von den Pintos. In dem Augenblick, in dem er die Wohnungstür öffnete, klingelte das Telefon.
    «Ja?»
    Ein paar Minuten später klingelte es wieder.
    «Wer ist da?»
    Sobald er auflegte, hörte er das Telefon im Wohnzimmer der Pintos klingeln. Dann klingelte wieder seins, und in dem Augenblick,in dem er abhob, war die Leitung tot und das Telefon der Pintos klingelte.
    Die Wohnungstür der Pintos stand offen. Sie saßen nebeneinander auf dem Sofa, und Nina, ihr Dienstmädchen, stand schützend neben ihnen.
    «Es sind bloß die Kinder», sagte Masterji, der mit verschränkten Armen in der Tür stand. «Es muss Tinku oder Mohammad sein. In der Schule gab es einen Jungen, der den Lehrern Zettel an den Rücken klebte. Großer Junge. Rashid.
Gib mir einen Tritt. Ich liebe Mädchen.
Ich hab ihn erwischt, und er bekam zwei Wochen Beurlaubung von der Schule, die Höchststrafe, kurz vor dem Verweis.»
    «Ich frage mich, warum Gott das Alter überhaupt erschaffen hat», sagte Mrs Pinto. «Die Augen werden trüb, der Körper ist schwach. Man fürchtet sich vor allem.»
    «Wir sind das Vakola-Triumvirat, Mrs Pinto. Cäsar, Pompeius und Crassus. Niemand wird uns dazu bringen, klein beizugeben.» Masterji lehnte das Glas kaltes Wasser ab, das Nina ihm anbot. «Ich gehe runter und spreche mit Kothari.»
    «Da ruft immer einer an und legt dann auf», erklärte er dem Verwalter, der in seinem Büro saß und den Immobilienteil der
Times of India
las. «Ich glaube, es ist jemand aus dem Haus.»
    Der Verwalter blätterte um.
    «Wieso?»
    «Weil sie in dem Moment anrufen, in dem ich meine Wohnung betrete. Und wenn ich sie verlasse, dann hören sie wieder auf. Sie wissen also, wo ich bin.»
    Der Verwalter faltete die Zeitung zusammen. Er strich sein über die Glatze gekämmtes Haar zurecht, lehnte sich im Stuhl zurück und atmete aus, wobei er nach currygewürzten Kartoffeln und Zwiebeln roch.
    «Masterji», Kothari rülpste, «wissen Sie, dass es am Dienstag wieder einen Toten in einem eingestürzten Gebäude gab?» Ergrinste, die Luchsschnurrhaare bildeten sich um seine zusammengekniffenen Augen.
    «Mir fällt nur gerade nicht ein, wo. Jemand in diesem Slum am Meer … die Mauer in der Nähe ihres Slums stürzte ein, als der Regen … es stand in der Zeitung …»
    «Sind
Sie
derjenige, der immer anruft, Kothari»?, fragte Masterji. «Sind Sie derjenige, der uns bedroht?»
    «Sehen Sie?», sagte Kothari und gestikulierte hilflos vor einem imaginären Publikum. «Sehen Sie? Seit zweitausend Jahren spielen wir dieses Spiel, dieser Mann und ich, und nun fragt er, ob das eine Drohung ist. Und dann hört er das Telefon klingeln. Und bald wird er Männer mit Messern und Hockeyschlägern sehen, die hinter ihm her sind.»
    Als er wieder in der Wohnung der Pintos war, besprachen sie sich.
    «Vielleicht bilden wir uns die Sache auch nur ein», sagte Mr Pinto. «Vielleicht hat Kothari recht.»
    «Im Zweifelsfall führt man ein Experiment durch», sagte Masterji. «Lasst uns den Hörer wieder auflegen.»
    Als nach einer Stunde niemand angerufen hatte, ging Masterji zurück in seine Wohnung. Als er den Schlüssel umdrehte, klingelte das Telefon. Als er abnahm, war die Leitung tot.
    Um Mitternacht ging er die Treppe hinunter und klopfte bei den Pintos. Mr Pinto öffnete, ging zum Sofa und ergriff die Hände seiner Frau.
    «Ich habe es gehört», sagte Masterji.
    Manchmal vertaten sich die Pinto-Kinder in Amerika mit der Zeitverschiebung und riefen spät in der Nacht an. Aber das Telefon hatte viermal geklingelt, ohne dass abgenommen wurde. Nun klingelte es wieder.
    «Rühren Sie es nicht an», warnte Mr Pinto. «Jetzt bedrohen sie uns.»
    Masterji hob den Hörer ab.
    «Alter Mann, bist du das?» Es war eine schrille,

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