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Letzter Mann im Turm - Roman

Letzter Mann im Turm - Roman

Titel: Letzter Mann im Turm - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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Neben seinem Bügelbrett befand sich ein Metalltrog voller ausgeglühter Kohlen.
    Mit einem Glas
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in der Hand gab Mr Pinto Masterji ein Zeichen, dass er Trivedi und ihm in die Teestube folgen solle.
    Es war ein Morgen voller Verzögerungen gewesen, ständig hatte Mr Pinto irgendetwas verlegt, erst die Brille, dann den Regenschirm. Als er jetzt das zitternde Teeglas in der Hand seines alten Freundes sah, begriff Masterji.
    «Ich gehe auf die Wache und mache die Anzeige. Sie können unbesorgt allein nach Hause gehen, Mr Pinto. Tagsüber ist es hier völlig sicher.»
    Die Polizeiwache Vakolas liegt direkt neben der Ampel an der Ausfahrt zur Schnellstraße und vermittelt einem das Gefühl, in einen Vorort zu kommen, in dem Recht und Ordnung herrschen.
    Masterji trat aus dem reinigenden Geruch nach Kohle und frischer Wäsche, der vor dem Bahnhof in der Luft hing, in den Dunstkreis von Weihrauch und Ringelblumen.
    Es war sein erster Besuch nach fast einem Jahrzehnt; Mitte der 1990er war Purnima an einem Samstagnachmittag direkt vor der Schule die Handtasche entrissen worden – ein derart ungewöhnliches Ereignis, dass das Viertel von einer «Welle der Kriminalität» gesprochen hatte. Er war mit Purnima hierhergekommen und hatte mit verständnisvollen Ordnungshütern gesprochen. Ein Polizist hatte ein Formular inklusive Durchschlag mit den Angaben zur Straftat ausgefüllt, und damit schien das Gros der Ermittlungsarbeit getan; die Tasche war nie gefunden worden, aber auch die Welle der Kriminalität wieder verebbt.
    Er sah einen Betrunkenen im Halbschlaf; einen ausländischen Touristen, der eindeutig seit Langem keinen Schlaf bekommen hatte; zwei Markthändler, die wahrscheinlich mit ihren Zahlungen an die Wache im Verzug waren, und dann jene Menschen mit unbestimmten und uferlosen Angelegenheiten aller Art, die jede Polizeiwache bevölkern.
    «Masterji.» Ein schmerbäuchiger Polizist salutierte vor ihm. «Hat Ihre Frau wieder ihre Handtasche verloren?»
    Er erinnerte sich daran, dass er den Sohn dieses Polizisten unterrichtet hatte. (Ashok? Ashwin?)
    Er setzte sich und erklärte seine Lage. Der Polizist lauschte seiner Geschichte und sorgte dafür, dass auch der Kriminalkommissar, ein Mann namens Nagarkar, zuhörte.
    «Diese Anrufe sind schwer zurückzuverfolgen», sagte der Kriminalkommissar, «aber ich schicke Ihnen einen Mann vorbei, das reicht für gewöhnlich, um diese Bauherren und ihre
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einzuschüchtern. Das hier ist kein Viertel, in dem man einen Lehrer bedrohen kann.»
    «Danke, Sir», Masterji legte die Hand aufs Herz, «ein alter Lehrer ist Ihnen sehr dankbar.»
    Der Kommissar lächelte. «Wir helfen Ihnen, keine Frage. Aber, Masterj, jetzt mal ehrlich.»
    Masterji starrte ihn an.
    «Was jetzt mal ehrlich, Sir?»
    «Sie halten wirklich bis zum bitteren Ende durch, was?»
    Er begriff; die Polizisten glaubten, dass es hier um Geld ging. Sie vertraten als Polizei nicht das indische Strafgesetzbuch, sondern das eherne Gesetz der Notwendigkeit und hegten die Vorstellung, dass jeder käuflich sei – zu einem saftigen Preis zwar, aber zu einem, den man am Ende nicht ablehnen konnte. Sag:
Ich bin nicht käuflich,
und eine Zellentür schwingt auf, und du findest dich zwischen Trunkenbolden und Schlägern wieder. Über dem Schreibtisch des Kommissars hing ein Bild von Siddhi Vinayakim Cliprahmen, blutrot und mit Schmerbauch, die lebendige Verkörperung der Notwendigkeit, des Unvermeidlichen.
    Der Kommissar grinste. «Der berühmte Mann aus Ihrer Genossenschaft ist übrigens hier.»
    Masterji drehte sich auf seinem Stuhl um; in der Tür der Polizeiwache stand Ajwani.
    Die gesamte Wache erwärmte sich bei seinem Erscheinen. Jeder, der sich in ein anständiges Haus einmieten wollte, musste von Gesetz wegen seiner angehenden Genossenschaft ein Führungszeugnis vorlegen, ausgestellt von der örtlichen Polizeiwache. In einem Viertel wie Vakola, das nicht besonders
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war, bewarben sich die Leute ständig ohne echten Führerschein, Stimmrechtsausweis oder Steuerkarte um Mietverhältnisse; Männer mit protzigen Handys und Seidenhemden, die jede geforderte Miete bezahlen, aber nicht nachweisen konnten (wie dies das Führungszeugnis verlangte), dass sie bei einer seriösen Firma angestellt waren.
    Der Makler kam hierher, um gegen das entsprechende Entgelt diesen Männern die nötigen Führungszeugnisse zu besorgen.
    Das ist also die wahre Funktion dieser Polizeiwache, dachte Masterji. Ich sollte hier sofort

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