Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Letzter Mann im Turm - Roman

Letzter Mann im Turm - Roman

Titel: Letzter Mann im Turm - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
Vom Netzwerk:
abgeschrieben und fing an, sich mit Masterjis Füßen voran in Richtung Treppe zu bewegen, als sich der Apparat in Gang setzte – er ruckelte und ächzte – und ein Lichtkreis sich zu ihnen emporbewegte.
    Seine Frau hielt von außen die Tür auf, bis die drei Körper drin waren. Dem Verwalter gelang es, den Knopf für den fünften Stock zu drücken. In der runden weißen Leuchte an der Aufzugsdecke entdeckten die beiden Männer drei kleine dunkle Schemen. Wespen, die vor langer Zeit ins Licht geflogen sein mussten, sechs immer noch intakte Flügel.
    Als sie den fünften Stock erreichten, schickte sich Mr Puri an, gegen die Aufzugtür zu drücken, aber sie schwang von selbstauf. Seine Frau, die die Stufen genommen hatte, war trotz ihres Umfangs schneller gewesen.
    Während sie den Körper aus dem Lift trugen, hatte sie die Tür aufgestoßen, die zur Dachterrasse führte.
    «So bekommen wir ihn da nie hoch», sagte der Verwalter und blickte auf die steile, schmale Treppe.
    «Schritt für Schritt. Ihr schafft das schon», sagte Mrs Puri von oben. «Schritt für Schritt.»
    Die beiden Männer legten den Körper ab und wechselten die Position. Mr Puri, der Stärkere der beiden, ergriff diesmal den Kopf. Der Verwalter folgte mit den Füßen. Schritt für Schritt. Auf der Dachterrasse stoben Tauben auseinander, als sie hinaustraten.
    «Mrs Puri …», keuchte der Verwalter, «gucken Sie bitte, dass auch niemand unten im Parlament sitzt.»
    Die Mauer der Dachterrasse war einen Meter hoch. Mrs Puri sah nach unten.
    «Er macht die Augen auf. Hast du den Hammer dabei?»
    «Nein, ich habe ihn in der Wohnung gelassen.»
    «Warum hast du ihn nicht mitgebracht?»
    «Sie haben nicht gesagt, dass ich …»
    «Oh, hört doch auf», sagte Mrs Puri, «macht euch an die Arbeit.»
    Die beiden Männer kämpften sich mit dem Körper, der sich hin und her wand, zum Rand der Dachterrasse; auf drei hievten sie ihn auf die Mauer und schubsten ihn.
    «Warum ist es nicht endlich vorbei?»
    «Er ist wieder bei Bewusstsein. Er hält sich mit der Hand an der Mauer fest. Ihr müsst stärker drücken. Stärker.»
    Mrs Puri beobachtete den Kampf, griff ein und drückte mit Rücken und Hintern gegen diesen Stein, der ihrem Glück so lange im Weg gewesen war.
    Als er die Augen öffnete, konnte er nicht sagen, ob er tot war oder ob er noch lebte; diese Männer schienen Dämonen zu sein, wenn auch freundliche, die seinen Körper dazu bringen wollten, sich von einem Ort zwischen Leben und Tod, an dem er festhing, wegzubewegen.
    Und das, weil er weder gut noch böse genug war, weder stark noch schwach genug. Er hatte seine Hände verloren, er hatte seine Beine verloren, er konnte nicht mehr sprechen. Und dennoch war alles, was er zu tun hatte, genau hier, in seinem Kopf. Er dachte an Gaurav, seinen Sohn, Fleisch von seinem Fleisch. «Hilf mir», sagte er.
    Und dann merkte er, dass das Ding, das seiner Reise im Weg gewesen war, beseitigt war, und er fiel; sein Körper hatte seinen kurzen irdischen Flug angetreten und beendete ihn fast augenblicklich – bevor Yogesh Murthys Seele für ihren viel längeren Flug über die Meere der anderen Welt frei wurde.
    Er lag unten auf der Erde, ausgestreckt und in perfekter Imitation eines Selbstmords.
    Lose Haarsträhnen fielen von Kotharis Glatze herab; er legte sie zurecht, sodass sie wieder seinen kahlen Schädel bedeckten.
    «Wir müssen zurück und diesen Hammer finden, Mrs Puri. Und wo ist Ibrahim? Ist er immer noch in der Wohnung? Was macht er da? Mrs Puri, hören Sie mir zu?»
    «Er lebt immer noch», sagte sie. «Er bewegt sich dort unten.»
    Der Verwalter war außer Atem. Deshalb rannte Sanjiv Puri die Treppe zum fünften Stock hinunter, nahm den Aufzug und stürzte zum Eingang hinaus. Er stand neben dem Körper, blickte nach oben und schüttelte den Kopf. Die Bewegungen hatten aufgehört. Es waren nur Todeszuckungen gewesen.
    Ein Kranz dunkler Flüssigkeit umgab den Kopf; Mrs Puri glaubte, etwas aus dem Schädel sickern zu sehen. Es war getan.
    «Klebeband …», zischte sie zu ihrem Mann hinunter. «Das Klebebandauf seinem Mund. Schne-hell. Ram Khare kommt zurück.»
    Ein besonderer Abend. Gewöhnlich trank er ein Viertel Old-Monk-Rum in seinem Zimmer, aber heute Abend war er in eine Bar gegangen und hatte gesagt: «Whisky. Royal Stag.»
    Warum auch nicht? Es war der Abend des 5. Oktober. Der Streit in seiner Genossenschaft musste mittlerweile vorbei sein. Selbst wenn man davon ausging, dass der Bauherr

Weitere Kostenlose Bücher