Letzter Tanz - Lincoln Rhyme 02
hinaus zu Foxtrot Bravo. Auf seinem Gesicht zeigte sich tiefe Bitterkeit. Denselben Ausdruck hatte sie in seinen sanften Augen gesehen, als er ihr erzählt hatte, daß er den physischen Belastungstest nicht bestanden hatte und seinen Lebensunterhalt nicht länger mit dem Fliegen verdienen durfte. Talbot steuerte auf die Tür zu.
Es war Zeit, an die Arbeit zu gehen. Sie krempelte die Ärmel hoch und winkte Bell zu sich herüber. Sie fand die Art, wie er den Kopf zu ihr herunterbeugte, sehr charmant. Es erinnerte sie daran, wie Ed ihr stets mit geneigtem Kopf zugehört hatte, wenn sie leise gesprochen hatte. Sie sagte: »Ich muß für ein paar Stunden in den Hangar. Können Sie mir diesen Hurensohn solange vom Leib halten?«
Keine Südstaatensprüche mehr, keine vollmundigen Versprechungen. Roland Bell, der Mann mit den zwei Pistolen, nickte nur ernst. Dabei flogen seine Augen wachsam von Schatten zu Schatten.
Sie standen vor einem Rätsel. Cooper und Sachs hatten sämtliches Spurenmaterial aus den Reifen der Feuerwehr-und Polizeiwagen untersucht, die nach dem Absturz von Ed Carneys Maschine bei Chicago an der Unglücksstelle gewesen waren. Wie Rhyme erwartet hatte, fanden sie eine Menge Schmutz, Hundekot, Gras, Öl und Abfall. Doch sie machten auch eine Entdeckung, die Rhyme für wichtig hielt.
Er hatte nur keine Ahnung, was sie bedeuten könnte.
Das einzige Material, das Rückstände der Bombe zeigte, waren Fragmente einer dehnbaren, beigen Substanz.
Als sie sie durch den Gaschromatographen und den Massenspektrometer jagten, spuckte der als Ergebnis C5H8 aus.
»Isopren«, sagte Cooper nachdenklich.
»Was ist das?« fragte Sachs.
»Gummi«, antwortete Rhyme.
Cooper fügte hinzu: »Ich erkenne auch Fettsäuren. Farbstoffe, Talkum.«
»Sind Härtungsmittel dabei?« versuchte es Rhyme. »Lehm? Magnesiumcarbonat? Zinkoxyd?«
»Nichts.«
»Es ist weicher Gummi. Wie Latex.«
»Und es sind auch winzige Teilchen Gummikleber darunter«, ergänzte Cooper, während er die Probe unter dem Mikroskop studierte. »Bingo«, rief er.
»Keine Scherze jetzt, Mel«, grummelte Rhyme.
»Lötstellen und winzige Plastikpartikel im Gummi. Also Schaltkreise.«
»Gehörten die zum Zeitzünder?« fragte Sachs.
»Nein, der war intakt«, erinnerte Rhyme sie.
Er hatte das Gefühl, daß sie einer wichtigen Sache auf der Spur waren. Sollte dies Teil der Bombe gewesen sein, so könnte es ihnen einen Hinweis auf die Herkunft des Sprengstoffs oder einer anderen Komponente geben.
»Wir müssen klären, ob diese Teilchen von der Bombe oder vom Flugzeug selbst stammen. Sachs, ich möchte, daß Sie zum Flughafen rausfahren.«
»Zum...«
»Mamaroneck. Lassen Sie sich von Percey Materialproben von Schaltkreisen und sämtlichen Teilen mit Latex oder Gummi geben, die sich im Bauch eines Lear befinden. Möglichst dicht an der Stelle, wo die Bombe saß. Und, Mel, schick die Informationen an die Sprengstoffdatendank des FBI, und frag auch bei der Kriminalabteilung der Army nach - vielleicht gibt es irgendeinen wasserdichten Überzug aus Latex, den die Armee für Sprengstoffe benutzt. Vielleicht finden wir auf diese Art eine Spur.«
Cooper tippte seine Anfrage in den Computer, doch Sachs, so bemerkte Rhyme, schien über ihren Auftrag nicht sonderlich erfreut
zu sein.
»Sie wollen, daß ich mit ihr rede?« fragte sie. »Mit Percey?«
»Ja. Genau das möchte ich.«
»Okay.« Sie seufzte. »In Ordnung.«
»Und kommen Sie ihr nicht wieder auf dieselbe Tour wie vorhin. Wir brauchen ihre Kooperation.«
Rhyme hatte nicht die leiseste Ahnung, warum sie ihre kugelsichere Weste mit derart zornigen Bewegungen überwarf und dann ohne ein Wort des Abschieds zur Tür hinausstolzierte.
3l. Stunde von 45
Am Mamaroneck-Flughafen traf Amelia Sachs vor dem Hangar auf Roland Bell. Sechs weitere Polizisten bewachten das riesige Gebäude. Sie vermutete, daß auch Scharfschützen in Stellung lagen.
Ihr Blick fiel auf die Stelle, wo sie während der Schießerei auf dem Boden gekauert hatte. Die Erinnerung daran erzeugte ein unangenehmes Ziehen in ihrem Magen. Wieder hatte sie den Duft der Erde in der Nase, der sich mit dem süßlichen Geruch des Pulvers aus ihrer machtlosen Pistole mischte. Sie begrüßte Bell: »Detective.«
Er warf ihr einen kurzen Blick zu. »Hey.« Dann richtete er seine Aufmerksamkeit wieder auf das Flughafengelände. Seine lockere Südstaatenart war verflogen. Er hatte sich verändert. Sachs registrierte, daß sie und Bell nun etwas
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