Letzter Tanz - Lincoln Rhyme 02
Kopf war einfach erstaunlich. Er erzählte ihr vom alten New York, von Mafia-Überfällen, über die der Rest der Welt noch nie etwas gehört hatte, von Tatorten, die so sauber waren, daß sie aussichtslos schienen, bis die Experten jenen Staubpartikel, Fingernagel, Speicheltropfen, jenes Haar oder jene Faser gefunden hatten, die aufdeckte, wer der Täter war oder wo er lebte -es natürlich nur für Rhyme aufdeckte, nicht zwangsläufig für jedermann. Nein, sein Kopf stand nie still. Sie wußte, daß er vor seiner Verletzung häufig durch die Straßen New Yorks gewandert war auf der Suche nach Erde, Glas, Pflanzen oder Steinen - nach allem, was ihm dabei helfen könnte, seine Kriminalfälle zu lösen. Es war, als habe sich diese Rastlosigkeit von seinen Beinen in sein Gehirn verlagert, das nun in seiner Phantasie bis tief in die Nacht durch die Stadt streifte.
Aber heute abend war es anders. Rhyme war abgelenkt. Es machte ihr nichts aus, wenn er übellaunig war, und das war gut so, denn er war sehr häufig übellaunig. Doch sie mochte es nicht, wenn er geistesabwesend war. Sie setzte sich auf den Bettrand.
Er kam zur Sache. »Sachs... Leon hat mir erzählt, was auf dem Flugplatz passiert ist.«
Sie zuckte die Achseln.
»Es gibt nichts, was Sie hätten tun können, außer sich erschießen zu lassen. Sie haben das Richtige gemacht, sind in Deckung gegangen. Er hatte einmal gefeuert, um die Entfernung abzuschätzen, und hätte Sie mit dem zweiten Schuß erwischt.«
»Ich hatte zwei, drei Sekunden Zeit. Ich hätte ihn treffen können. Ich weiß es.«
»Seien Sie nicht leichtsinnig, Sachs. Diese Bombe...«
Ein glühender Blick aus ihren Augen brachte ihn zum Schweigen. »Ich will ihn kriegen, koste es, was es wolle. Und ich habe das Gefühl, Sie brennen ebensosehr darauf, ihn zu kriegen, wie ich. Ich glaube, auch Sie würden dafür jedes Risiko eingehen.« Kryptisch fügte sie hinzu: »Vielleicht tun Sie das ja bereits.«
Das rief eine stärkere Reaktion hervor, als sie erwartet hatte. Er kniff die Augen zusammen, wandte den Blick ab. Doch er sagte nichts mehr, nippte nur an seinem Scotch.
Aus einem Impuls heraus fragte sie: »Darf ich Sie etwas fragen?
Wenn es unpassend ist, sagen Sie mir einfach, daß ich den Mund halten soll.«
»Kommen Sie, Sachs. Haben wir Geheimnisse voreinander, Sie und ich? Ich denke nicht.«
Die Augen auf den Fußboden geheftet, sagte sie: »Ich erinnere mich, daß ich Ihnen einmal von Nick erzählt habe. Was ich für ihn empfand und so. Wie hart das für mich war, was dann zwischen uns passierte.«
Er nickte.
»Und ich fragte Sie, ob Sie jemals so für jemanden empfunden haben, vielleicht für Ihre Frau. Und Sie sagten ja, aber nicht für Blaine.« Sie schaute ihn an.
Er faßte sich schnell, aber nicht schnell genug. Und ihr wurde klar, daß sie soeben eiskalte Luft auf einen blank liegenden Nerv gelenkt hatte.
»Ich erinnere mich«, sagte er nur.
»Wer war sie? Schauen Sie, wenn Sie nicht darüber reden möchten...«
»Es macht mir nichts aus. Ihr Name war Claire. Claire Trilling. Das ist vielleicht ein Nachname, was?«
»Vermutlich mußte sie in der Schule mit demselben Mist fertig werden wie ich. Amelia Sex... Wie haben Sie sie kennengelernt?«
»Nun...« Er lachte über sein eigenes Zögern fortzufahren. »In der Abteilung.«
»Sie war bei der Polizei?« Sachs war überrascht.
»Ja.«
»Was ist geschehen?«
»Es war eine... schwierige Beziehung.« Rhyme schüttelte wehmütig den Kopf. »Wir waren beide verheiratet, nur leider nicht miteinander.« »Kinder?«
»Sie hatte eine Tochter.« »Also haben Sie sich getrennt?«
»Es wäre nicht gutgegangen, Sachs. Oh, Blaine und ich standen kurz davor, uns scheiden zu lassen -oder davor, uns gegenseitig umzubringen. Es war nur eine Frage der Zeit. Doch Claire... sie machte sich Sorgen um ihre Tochter -daß ihr Mann das Mädchen bekommen würde, wenn sie sich scheiden ließe. Sie liebte ihn nicht, aber er war ein guter Mann. Liebte das Mädchen sehr.« »Haben Sie sie kennengelernt?« »Die Tochter? Ja.«
»Sehen Sie sie noch manchmal? Claire?« »Nein. Das ist vorbei. Sie ist nicht mehr bei der Polizei.« »Haben Sie nach Ihrem Unfall Schluß gemacht?« »Nein, nein, davor.«
»Sie weiß aber, daß Sie verletzt wurden, oder?« »Nein«, sagte Rhyme nach einem neuerlichen Zögern. »Warum haben Sie es ihr nicht erzählt?« Eine Pause. »Es gab Gründe... Komisch, daß Sie auf Claire zu sprechen kommen. Habe jahrelang nicht
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