Letzter Tanz - Lincoln Rhyme 02
führen.«
Während sie dorthin ging, fragte sie: »Woher wußten Sie von
dem Schrank?«
»Durch die Richtung der Tropfen. Er hat Innelman hineinge
schoben und ein Tuch mit dem Blut des Polizisten getränkt. Dann ist er zu dem Aufzug gegangen und hat dabei das Tuch geschwenkt. Die Tropfen drehten sich in verschiedene Richtungen, als sie zu Boden fielen. Deshalb hatten sie die Form von Tränen oder Kaulquappen. Und weil er versucht hat, uns zu dem Aufzug zu locken, sollten wir genau in der entgegengesetzten Richtung nach seinem Fluchtweg suchen. Im Lagerraum. Sind Sie angekommen?«
»Ja.«
»Beschreiben Sie ihn mir.«
»Es gibt ein Fenster, das auf die Gasse hinausführt. Sieht so aus,
als habe er damit begonnen, es aufzubrechen. Aber es ist fest zugespachtelt. Keine Türen.« Sie sah zum Fenster hinaus. »Ich kann allerdings von hier aus keine der Positionen unserer Männer sehen. Ich weiß nicht, was ihn mißtrauisch gemacht haben könnte.«
»Sie können keinen der Männer sehen«, sagte Rhyme zynisch.
»Er konnte. Laufen Sie den Raum jetzt gitterförmig ab. Mal sehen, was wir finden.«
Sie untersuchte den Raum gründlich, ging das Gittermuster ab, saugte überall und verpackte die Staubbeutel sorgfältig.
»Was sehen Sie? Irgend etwas?«
Sie leuchtete mit ihrer Taschenlampe die Wände ab und entdeckte zwei lose Steinblöcke. Wenn man sie herausziehen würde, wäre es ziemlich eng, aber ein schlanker Mann könnte sich da durchgequetscht haben.
»Hab seinen Fluchtweg, Rhyme. Er ist durch ein Loch in der Wand verschwunden.«
»Gehen Sie da nicht ran. Rufen Sie das Einsatzkommando.«
Sachs rief über Funk mehrere Agenten in den Keller. Sie wuchteten die Blöcke heraus, stießen ihre Heckler&Koch-Maschinenpisto-len in die Öffnung und leuchteten mit den Taschenlampen die dahinter liegende Kammer aus. »Gesichert«, verkündete wenig später ein Agent. Sachs zog ihre Waffe und schlüpfte in den kühlen, feuchten Raum.
Es war eine enge, abschüssige Rampe voller Schutt, die zu einer Öffnung in den Grundmauern führte. Wasser tröpfelte von der Decke. Sie achtete darauf, nur auf große Betonbrocken zu treten und die feuchte Erde unberührt zu lassen.
»Was sehen Sie, Sachs? Berichten Sie mir!«
Sie schwenkte den Stab ihrer PoliLight über die Stellen, die der Tänzer logischerweise mit seinen Händen berührt haben mußte und auf die er getreten war. »Wow, Rhyme.«
»Was?«
»Fingerabdrücke. Frische Abdrücke... Warten Sie. Hier sind aber auch Handschuh-Abdrucke. Mit Blut. Vom Schwenken des Lumpens. Ich verstehe das nicht. Es ist wie in einer Höhle... Vielleicht hat er die Handschuhe aus irgendeinem Grund ausgezogen. Vielleicht hat er geglaubt, im Tunnel sei er sicher.«
Dann sah sie auf die Erde und leuchtete mit dem unheimlichen gelb-grünen Licht vor ihre Füße. »Oh.«
»Was?«
»Das sind nicht seine Abdrücke. Er ist mit jemandem zusammen.«
»Jemand ist bei ihm? Woher wissen Sie das?«
»Hier ist ein zweites Paar Fußspuren. Beide sind frisch. Eines ist größer als das andere. Sie verschwinden in derselben Richtung. Jesus, Rhyme.«
»Was ist los?«
»Ich denke, er hat einen Partner.«
»Kopf hoch, Sachs. Das Glas ist halbvoll.« Fröhlich fügte Rhyme hinzu: »Es bedeutet, daß wir doppelt soviel Beweismaterial haben, um ihn aufzuspüren.«
»Ich dachte gerade«, entgegnete sie düster, »es bedeutet, daß er doppelt so gefährlich ist.«
»Was haben wir?« fragte Lincoln Rhyme.
Sachs war in sein Haus zurückgefahren und ging nun mit Mel Cooper das neue Beweismaterial durch. Sachs und die Einsatzagenten waren den Fußabdrücken bis in einen Zugangstunnel der New Yorker Elektrizitätswerke gefolgt, dann hatten sie die Spuren des Tänzers und seines Begleiters verloren. Es sah aus, als seien die Männer durch einen Schacht auf die Straße geklettert und entkommen.
Sie reichte Cooper den Abdruck, den sie am Eingang des Tunnels gefunden hatte. Er scannte ihn in seinen Computer und schickte ihn an das Automatisierte Fingerabdruck Identifizierungssystem AFIS des FBI.
Dann hielt sie zwei elektrostatische Abzüge hoch, damit Rhyme sie inspizieren konnte. »Das sind die Fußabdrücke aus dem Tunnel. Dieser hier stammt vom Tänzer.« Sie wedelte mit einem der Abzüge, die durchsichtig wie Röntgenbilder waren. »Er ist identisch mit einem Abdruck aus dem Büro des Psychiaters im Erdgeschoß, in das er eingebrochen ist.«
»Er trägt ganz normale, durchschnittliche
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