Leuchtende Sonne weites Land - Roman
sollte. War Jacqueline gemeint oder Verity? Er hatte Verity zwar nicht als seine Frau ausgegeben, aber das Personal in dem Glauben gelassen, sie sei es – schließlich teilten sie sich eine Suite. »Äh … ja.« Seine Gedanken überschlugen sich. Jacqueline konnte wohl kaum gemeint sein. Wer sollte ihr einen Brief schreiben und ans Ambassador adressieren?
»Fängt der Vorname Ihrer Frau mit J an, Sir?«, fragte der Empfangschef, um sicherzugehen.
»Ja«, antwortete Henry völlig verwirrt. »Sie heißt Jacqueline.« Er lief rot an. »Darf ich?« Er streckte die Hand aus.
Der Empfangschef reichte ihm den Brief. Er war an Jacqueline adressiert, bei Philip und Ruth Walters in den Dandenongs. Henry drehte den Umschlag um. Als er den Absender sah, setzte sein Herzschlag eine Sekunde aus. »Von meinem Schwiegervater«, sagte er. »Ich werde dafür sorgen, dass meine Frau den Brief bekommt.«
»Wie Sie wünschen«, erwiderte der Empfangschef mit unbewegter Miene. Er wusste natürlich, dass Henry seine Suite mit einer Miss Darcy teilte, doch im Hotelgewerbe erlebte man so mancherlei. Daher überraschte ihn nichts mehr. Ob der kleine Junge wohl Henrys Sohn war?
»Ach, sagen Sie, wie ist der Brief denn zugestellt worden?«, fragte Henry, als er sich schon zum Gehen wenden wollte.
»Ein Herr hat ihn vor ungefähr einer Stunde abgegeben. Er schien in Eile zu sein. Seinen Namen hat er nicht genannt.«
Bei dem Herrn konnte es sich nur um Philip handeln. »Hat er nach mir gefragt?«
»Nein, Sir. Er war wie gesagt in großer Eile. Er bat mich nur, den Brief dem Ehemann von Mrs. J. Walters auszuhändigen. Ich nahm an, er meinte Sie.«
Philip hatte ihn offenbar absichtlich in Verlegenheit bringen wollen. Das war ihm gelungen, und Henry war sauer. Philip aber auch, wie es schien. Henry hoffte dennoch, dass sie eines Tages über ihre Meinungsverschiedenheiten sprechen und ihren Streit begraben könnten. Philip war sein einziger Bruder, er wollte den Kontakt zu ihm nicht vollständig abreißen lassen. Vielleicht beruhigte er sich ja wieder und gab seine selbstgerechte Haltung auf.
»Bitte erwähnen Sie niemandem gegenüber diesen Brief«, sagte Henry leise. Er wollte nicht, dass Verity davon erfuhr.
»Selbstverständlich, Sir«, erwiderte der Empfangschef. Diskretion war ein wesentlicher Bestandteil seines Berufs.
Henry nickte dem Mann zu und zog sich dann in einen ruhigen Salon zurück. Verity war oben in ihrer Suite, nachdem sie wieder einmal einen ausgedehnten Einkaufsbummel mit ihrer Mutter gemacht hatte. Er wollte gar nicht daran denken, wie viel Geld sie ausgegeben hatte. Unwillkürlich verglich er sie mit Jacqueline. Während diese sich vielleicht einmal im Monat neue Kleider geleistet hatte, gehörte das für Verity praktisch zum Alltag. Jetzt kam es ihm richtiggehend lächerlich vor, dass er Jacquelines Einkaufsgewohnheiten für maßlos übertrieben gehalten hatte.
Er starrte den Brief in seiner Hand an. Da er nur an Jacqueline adressiert war, ging Henry davon aus, dass sie ihrem Vater bereits von ihrer Trennung telegraphiert und ihn, Henry, in den Schmutz gezogen hatte, weil ihm die Chance auf eine Familie wichtiger war als ihr Glück.
Lionel würde seiner Tochter zweifellos raten, sich einen Anwalt zu nehmen und ihren Mann zu verklagen, damit sie die Hälfte seines Vermögens oder noch mehr bekam. Sie war sein einziges Kind, er würde nicht tatenlos zusehen, wie sie hintergangen wurde. Er hatte sie immer sehr beschützt, und Henry kannte den Grund dafür. Genauso wenig wie Jacqueline sprach auch Lionel nie über den Unfall, der seine Frau und seinen Sohn das Leben gekostet hatte. Aber dieses tragische Unglück hatte ihrer beider Leben für immer verändert und sie einander so nahegebracht, wie ein Vater und eine Tochter nur sein konnten.
Henry riss den Umschlag mit fahrigen Bewegungen auf. Er musste wissen, was in dem Brief stand, damit er auf eine mögliche Klage vorbereitet war. Es würde ihn nicht wundern, wenn Lionel seiner Tochter empfahl, sich einen erstklassigen Anwalt auf seine Kosten zu nehmen. Möglicherweise beabsichtigte er sogar, herüberzukommen, um Jacqueline beizustehen.
Er faltete den Brief auseinander und las.
Liebe Jacqueline,
ich hoffe, du bist gut angekommen und hast dich schon ein wenig eingelebt. Du vermisst das geschäftige New York doch nicht zu sehr? Wahrscheinlich bist du auf der Suche nach einem neuen Zuhause und machst dir Gedanken wegen der Einrichtung. Wer so gerne einkauft
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