Leuchtende Sonne weites Land - Roman
wie du, für den muss das ein großes Vergnügen sein.
Henry stieß einen tiefen Seufzer der Erleichterung aus. Offenbar war ihm eine kleine Gnadenfrist vergönnt, die Jacqueline Zeit gab, die ihr zugesandten Papiere, mit denen sie in die Scheidung einwilligen sollte, zu unterschreiben. Aber warum hatte Lionel den Brief nur an sie anstatt an sie beide adressiert, wie er es sonst immer tat?
Mir geht es so weit gut, aber ich vermisse euch natürlich sehr. Ich hoffe, dass ich euch bald in Australien besuchen kann. Im Augenblick bin ich damit beschäftigt, meine finanziellen Angelegenheiten zu regeln, womit ich beim Zweck meines Schreibens wäre. Auf Anraten meines Anwalts habe ich einen Teil meiner Vermögenswerte zu Geld gemacht, damit ich einerseits über ein größeres Barvermögen verfüge und mich andererseits nicht mehr um so viele Dinge kümmern muss. Es müssen Steuern und Abgaben gezahlt, Papierkram erledigt, Versicherungen abgeschlossen werden und so weiter. Ich will dich nicht mit den Einzelheiten langweilen. Jedenfalls habe ich eine Reihe Immobilien verkauft, darunter auch die Apartments in Upper Manhattan, die du einmal bekommen solltest; deshalb möchte ich, dass du das Geld aus dem Verkauf erhältst. Du und Henry könnt euch ein Haus damit kaufen oder es in euer neues Geschäft investieren. Ich finde, es ist besser, dass du das Geld jetzt bekommst, wo du es wirklich brauchen kannst, und nicht erst nach meinem Tod, der hoffentlich noch eine Weile auf sich warten lässt.
Henry ließ den Brief entsetzt sinken. Er kannte den fraglichen Apartmentblock, und er war überzeugt, dass er eine anständige Summe eingebracht hatte. Er stöhnte unwillkürlich auf, als erdaran dachte, was er mit dem Geld hätte anfangen können. Er las weiter.
Das ist auch der Grund, weshalb ich diesen Brief nur an dich adressiert habe, mein Schatz – so kannst du Henry mit der freudigen Nachricht überraschen. Ich weiß doch, wie gerne du anderen eine Überraschung bereitest. Bitte teile mir deine Bankverbindung mit, dann wird mein Anwalt dir das Geld überweisen. Ich kann es kaum erwarten, von dir zu hören. Ich bin sehr gespannt auf deine ersten Eindrücke von Australien!
Sei herzlich umarmt
Dad
PS: Es ist bitterkalt hier, ich freue mich schon auf die australische Sonne!
Henry wurde schlecht. Er konnte sich lebhaft vorstellen, wie die ersten Eindrücke von Australien aussahen, die Jacqueline ihrem Vater schildern würde: mutterseelenallein am Kai von Outer Harbour in Adelaide zurückgelassen, während ihr Ehemann mit einer anderen Frau auf dem Dampfer davonfuhr. Henry schlug sich mit der Hand an die Stirn und stöhnte.
Ben hielt sein Versprechen und machte das Abendessen: überbackene Käsebrote und Tomatensuppe. Da Jacqueline nicht aus ihrem Zimmer kam, brachte er ihr einen Toast und einen Teller Suppe, aber sie sagte, sie habe keinen Hunger, und so trug er das Tablett in die Küche zurück.
»Warum isst sie nicht mit uns?«, fragte Geoffrey beiläufig. »Und warum hast du heute gekocht?«
»Sie fühlt sich nicht so besonders«, antwortete Ben ausweichend.
»Was hat sie denn?« Die Jungen merkten, dass ihr Vater sich sorgte. Geoffrey fragte sich, ob Jacquelines Abwesenheit mit dem jüngsten Streich zu tun hatte, den sie ihr gespielt hatten.
»Ach, nichts weiter.« Ben wandte sich ab und ging nach draußen, um die Hunde zu füttern.
Als er außer Hörweite war, flüsterte Sid seinem ältesten Bruder zu, er habe Jacqueline in ihrem Zimmer weinen hören. Es schien, als hätten sie es diesmal doch zu weit getrieben. »Glaubst du, sie wird uns bei Dad verpfeifen?«
Geoffrey schüttelte den Kopf. »Wenn sie das wollte, hätte sie es längst getan, und wir hätten schon eine ordentliche Tracht Prügel bezogen.« Er hatte von Anfang an ein ungutes Gefühl bei dieser Sache gehabt. Jetzt bereute er, dass er sich von seinen Brüdern hatte überreden lassen.
Jacqueline hockte in ihrem Zimmer vor dem Schrankkoffer und konnte sich zuerst nicht entschließen, ihn zu öffnen. Dann gab sie sich einen Ruck.
Es war ein wunderbares Gefühl, ihre persönlichen Habseligkeiten wiederzusehen, sie berühren zu können. Das vermochte ihre innere Leere wenigstens ein ganz klein wenig zu füllen. Jacqueline packte ein paar Kleider und Schuhe aus und legte einige persönliche Dinge auf den Schreibtisch, der ihr als Frisierkommode diente. Sie war überglücklich, endlich Kleider zum Wechseln zu haben, auch wenn sie für das Leben hier draußen
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