Leuchtende Sonne weites Land - Roman
einen spitzen Schrei ausstieß. Es war Yuri gewesen, der durch den Türspalt gespäht hatte. Er erschrak seinerseits und flitzte davon. Jacqueline konnte ihn weinen hören.
»Ach herrje, ich hab’s nicht so gemeint, komm doch wiederher«, rief sie. Sie ließ das Tagebuch fallen, sprang auf und lief ihm nach. Sein Wimmern kam aus der Küche.
In der Küchentür blieb Jacqueline wie angewurzelt stehen und riss entsetzt Mund und Augen auf. Es sah aus wie auf einem Schlachtfeld. Dot, die etwas zu essen machte, hatte ein unglaubliches Chaos in der Küche angerichtet, die Jacqueline sauber und ordentlich verlassen hatte.
»Was tust du denn da?«
Yuri klammerte sich an seine Mutter. »Ich? Du hast meinem Yuri wieder Angst gemacht!«, fuhr Dot sie an.
»Er hat mir einen Schrecken eingejagt, nicht umgekehrt«, gab Jacqueline entrüstet zurück. Sie ging zur Spüle. »Sieh dir bloß diese Sauerei an! Ich hatte so schön sauber gemacht.«
Dot machte ein beleidigtes Gesicht. »Mein Sohn ist hungrig, er muss essen.« Das Brot, das sie aufgeschnitten hatte, war eigentlich für das Mittagessen am folgenden Tag bestimmt gewesen. Alles war voller Krümel, Butter und Marmelade waren auf der Arbeitsfläche und auf dem Rand des Spülbeckens verschmiert, verschüttete Milch tropfte auf den Fußboden. Jacqueline dachte an die Ameisen, die angelockt würden, und verzog schmerzlich das Gesicht. Es war fast unmöglich, der Ameisenplage Herr zu werden.
»Hast du schon mal was von einem Teller und einem Schneidebrett gehört?«, kreischte Jacqueline. Sie hatte so geschuftet, und jetzt war alles umsonst.
»Schrei mich nicht so an«, rief Dot und schüttelte wütend Jacquelines Arm. »Das ist Bens Haus. Nicht deines!«
Diese Unverfrorenheit brachte Jacqueline erst recht in Rage. »Ganz richtig, das ist Bens Haus. Du kannst doch nicht einfach hier reinplatzen, dir was zu essen nehmen und einen solchen Saustall hinterlassen!«
»Hör auf, mich anzuschreien, du Verrückte!«, kreischte Dot aufgebracht.
»Wenn hier eine verrückt ist, dann du! Und jetzt mach, dass du rauskommst!«
»Du hast mir gar nichts zu sagen! Ich brauche Geld, ich muss Essen für meinen Yuri kaufen, und deshalb werde ich hier arbeiten!«
»Hier drinnen ganz bestimmt nicht. Meinetwegen kannst du was im Garten tun, wo es nicht so darauf ankommt. Und jetzt raus hier!« Jacqueline war so in Fahrt, dass sie Yuri das Stück Brot in die Hand drückte und ihn dann mitsamt seiner Mutter energisch zur Hintertür hinausschob.
In ihrer Sprache vor sich hin schimpfend, stapfte Dot wütend davon, ihren Sohn an der Hand.
Jacqueline atmete tief durch. Als sie sich ein wenig beruhigt hatte, machte sie sich daran, die Küche aufzuräumen, zum zweiten Mal an diesem Vormittag. Sie beeilte sich, weil sie unbedingt noch ein bisschen im Tagebuch ihrer Mutter lesen wollte.
Als sie mit Saubermachen fertig war, holte sie das Tagebuch aus ihrem Zimmer und setzte sich an den Küchentisch. Falls Dot auf die Idee kommen sollte, das Haus noch einmal zu betreten, würde sie ihr blaues Wunder erleben. Aber Jacqueline konnte sich nicht konzentrieren. Sie sah, dass der Wind wieder auffrischte, und sorgte sich um Nick. Nicht lange danach hörte sie über sich das Brummen eines tief fliegenden Flugzeugs.
Inzwischen war der Wind noch stärker geworden, die Bäume schwankten, unzählige Blätter wurden abgerissen und wirbelten in einer riesigen Staubwolke über den Hof. Dann krachte es ganz gewaltig. Jacqueline rannte zum Fenster und sah, dass ein riesiger Ast von einem Eukalyptusbaum unweit des Hauses abgebrochen und in ein ausgetrocknetes Bachbett gestürzt war. Ihr wurde mulmig zumute. Rings um das Haus standen viele hohe Bäume. Sie hoffte, dass Ben und die Jungen bald zurückkamen. Sie wollte nicht allein sein, wenn ein Unwetter aufzog.
Ben hatte für diesen Tag nicht nur die Kontrolle der Zäune geplant, sondern auch die Reparatur einer Windmühle. Außerdemwollte er mit dem Dippen der Schafe beginnen – sie wurden in einer desinfizierenden Lösung gebadet, wie er ihr erklärt hatte. Weder er noch seine Söhne hielten sich in der Nähe auf, falls sie Hilfe brauchte. Jacqueline dachte an Nick. Hoffentlich war er so gescheit und flog bei diesem Sturm nach Rawnsley Park Station zurück.
Plötzlich fiel ihr ein, dass kein Gemüse mehr im Kühlschrank war. Falls es zu regnen anfing, würden sich die Gemüsebeete wahrscheinlich in Schlammbetten verwandeln. Eilig schnappte sie sich einen Eimer
Weitere Kostenlose Bücher