Leuchtende Sonne weites Land - Roman
Wirapundu, einer der Stammesältesten, kam nicht oft auf die Farm, weil er den meisten Weißen nicht traute, aber bei den Adnyamathanha genoss er großen Respekt.
»Weißt du, was hier passiert ist?«, fragte Ben.
»Das war die Verrückte«, erwiderte der Aborigine aufgebracht.
Man konnte das Weiße in seinen großen Augen sehen, die aus dem tiefschwarzen, halb von einem ergrauenden buschigen Bart verdeckten Gesicht hervortraten. Er trug nichts weiter als einen schmalen Lendenschurz, der durchnässt war und an seinen knochigen Hüften klebte. Wirapundu ging barfuß. Sein sehniger Oberkörper und seine mageren Gliedmaßen glänzten vom Regen. Wasser tropfte aus seinem grau gesträhnten Haar. Der Aborigine hatte viele Kinder gezeugt. Zwei seiner ältesten Söhne hatten ihm von dem Vorfall am heiligen Kreis berichtet. Wirapundu war auch der Vater von Yuri, aber sein Englisch war noch schlechter als das von Dot.
»Welche Verrückte?«, fragte Ben, obwohl er bereits einen Verdacht hatte.
»Die böse weiße Frau! Die mit diesem donnernden Ding da …« Er zeigte Richtung Garage.
Nick sah Ben an. »Er meint doch nicht etwa Jackie, oder?«
Genau das befürchtete Ben. Er stapfte zur Garage. Der Riegel des Tors war zurückgeschoben worden. Ben öffnete es und warf einen Blick hinein. Der Morris war fort. »Verdammt«, fluchte er leise vor sich hin.
Wirapundu schwenkte seinen Knüppel und stieß aufgeregte Sätze in seiner Sprache hervor.
»Ich hab gleich gesagt, es ist ein Fehler, Jackie das Autofahrenbeizubringen«, bemerkte Nick ärgerlich. »Wo zum Teufel ist sie bloß hingefahren?«
»Keine Ahnung.« Ben schüttelte den Kopf. Er konnte sich nicht vorstellen, dass Jaqueline bei diesem Wetter eine Spritztour zum Vergnügen unternommen hatte. Er blickte die Auffahrt hinunter. Das Wasser schoss wütend über die Furt. »Irgendetwas muss passiert sein, sonst wäre sie bestimmt nicht ganz allein losgefahren.« Ben ging zurück zu dem Stammesältesten. »Es tut mir leid, Wirapundu. Wir werden das in Ordnung bringen.« Er bückte sich, um die Steine an ihren alten Platz zurückzuschieben.
»Nein!« Wirapundu stieß ihn zornig weg. »Nicht anfassen!« Er hob drohend seinen Knüppel.
»Immer mit der Ruhe!« Nick stellte sich schützend vor seinen Bruder.
»Schon gut.« Ben richtete sich auf und hob beschwichtigend beide Hände.
»Ich nehme an, die Steine sollen im Rahmen einer rituellen Handlung wieder ausgerichtet werden«, sagte Nick.
»Ja, wahrscheinlich. Hoffentlich wollen sie Jackie nicht opfern, um die Geister zu besänftigen«, scherzte Ben.
»Wer weiß. Wir sollten jedenfalls auf alles gefasst sein«, murmelte Nick.
Ben nickte zustimmend, drehte sich dann um und eilte zum Haus. Auf der hinteren Veranda zog er seine verdreckten Stiefel aus, schälte sich aus seiner nassen Jacke und ging hinein. Er lief unverzüglich zum Funkgerät und funkte Tess an. Nein, sagte diese, sie habe Jacqueline nicht gesehen, auch nichts von ihr gehört, aber sie sei auch eben erst nach Hause gekommen.
»Wieso, stimmt was nicht?«, fragte sie besorgt. »Over.«
»Nein, nein, alles in Ordnung«, versicherte Ben, weil er sie nicht unnötig beunruhigen wollte. »Falls Sie Jackie sehen, sagen Sie ihr bitte, sie soll sich umgehend bei uns melden oder zurückkommen, okay? Over.«
»Mach ich, aber …«
»Over und Ende«, fiel Ben ihr ins Wort, bevor sie weitere Fragen stellen konnte. Er versuchte, Rawnsley Park Station anzufunken, bekam aber keine Antwort, was äußerst ungewöhnlich war.
Nick kam herein. »Wirapundu ist fort.«
Ben sah ihn an. »Ich habe versucht, Mike Rawnsley zu erreichen, aber ich bekomme keine Verbindung. Irgendetwas stimmt da nicht.«
»Vielleicht ist das Funkgerät defekt.«
»Kann sein. Vielleicht hat sich Jackie um Vera gesorgt, als sie sie nicht erreichen konnte. Und in ihrer Angst ist sie zu ihr gefahren. Ich wüsste nicht, warum sie sonst den Morris genommen hätte.«
»Komm, wir fahren rüber und sehen nach«, sagte Nick sofort. Er sorgte sich eher, dass Jacqueline auf den morastigen Straßen verunglückt war. »Ich hab den Ute schon aus der Garage geholt.«
Ben sprang auf. »Gehen wir.«
Im gleichen Moment hörten sie ein Auto heranfahren. Als sie aus dem Fenster schauten, sahen sie den Morris neben dem Pick-up parken. Die Männer waren gleichermaßen erleichtert, doch Sekunden später schlug ihre Erleichterung in Zorn um. Sie stürmten zur Tür, weil sie Jacqueline die Leviten lesen wollten,
Weitere Kostenlose Bücher