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Leuchtende Sonne weites Land - Roman

Titel: Leuchtende Sonne weites Land - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth Haran Sylvia Strasser
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gab Bäume, aber mit der unermesslichen Weite des Outback konnte man das natürlich nicht vergleichen. Und im Park waren zu jeder Tageszeit Leute unterwegs, allein oder gar einsam fühlte man sich dort nie.
    Meilenweit von der Zivilisation entfernt zu sein hatte etwas Beängstigendes und zugleich Magisches. Jacqueline wusste nicht, ob es an ihrem nagenden Hunger lag, aber sie fühlte sich seltsam schwerelos. Alles kam ihr so unwirklich vor. Sogar ihre Denkvorgänge schienen anders abzulaufen. Ob dem Wasser, das sie getrunken hatte, etwas beigemischt gewesen war? Der Gedanke war absurd, aber sie wusste nicht mehr, was sie noch glauben konnte und was nicht. Diese ganze Situation war so unerwartet über sie hereingebrochen und so fern jeder Realität.
    Es dauerte nicht lange, da hatte Jacqueline fast vergessen, weshalb sie ihre Geschichte erzählte. Unter dem dunklen, wolkenverhangenen Nachthimmel tauchte sie vollständig in die Vergangenheit ein, zum allerersten Mal. Sie erzählte von Valmae Brown, dem kleinen schwarzen Mädchen, von ihrem tragischen Tod und von dem Autounfall, bei dem ihre Mutter und ihr Bruder ums Leben gekommen waren. Darüber zu sprechen wirkte unglaublich befreiend, so als fiele endlich eine schwere Last von ihr ab. Unter Tränen erzählte sie von Mitchell, ihrem kleinen Bruder. Wie sehr sehnte sie sich danach, sein glückliches Gesicht wiederzusehen!
    »Mitchell war ganz verrückt nach Flugzeugen. Und nach Eisenbahnen. Sein Zimmer war voll davon. Er wollte entweder Pilot oder Lokomotivführer werden, wenn er groß war. Ich glaube, er mochte einfach diese großen, lauten Maschinen.« Ein trauriges Lächeln spielte um ihre Lippen, während sie in die glühende Asche des Lagerfeuers blickte. »Ich habe mich bei meiner Mutter immer über ihn beklagt, weil er so viel Krach machte. Dann lächelte sie nur und meinte: ›Er ist ein Junge, Jacqueline, und Jungs sind nun mal laut.‹ Es war ihm nicht vergönnt, seinen Traum zu leben. Er wurde viel zu früh aus dem Leben gerissen.« Kummer und Schmerz stiegen in ihr auf und legten sich wie ein eisernes Band um ihre Brust. Sie schloss die Augen. Tränen quollen unter ihren Lidern hervor und liefen ihr übers Gesicht.
    Einer der Stammesältesten wollte wissen, ob sie oder ihr Vater Verbitterung über den Tod ihrer Angehörigen empfunden hätten. Die Frage schien aus reiner Neugier gestellt und nicht als Prüfung gedacht.
    »Wir fühlten eine grenzenlose Trauer.« Sie öffnete die Augen und starrte von neuem ins Feuer. »Aber wir trugen unser Leid nicht gemeinsam.« Sie wünschte, sie hätten es getan, es hätte vieles leichter gemacht, sie hatten jedoch versucht, einander zu schützen. Heute erkannte sie das. »Es brach uns das Herz, so wie Valmae Browns Tod ihren Eltern das Herz brach. Ihr tödlicher Sturz von der Feuerleiter war ein tragischer Unglücksfall. Der Tod meines Bruders und meiner Mutter brachte nur noch mehr Unglück über noch mehr Menschen. Meine Mutter hatte sich gesorgt, das kleine Mädchen könnte herunterfallen, aber was hätte sie tun können? Es war nicht ihre Schuld, dass die Kleine da war. Es war niemandes Schuld.«
    Jacqueline erzählte von der Ballettschule, erklärte, was Ballett war – eine andere Art, eine Geschichte zu erzählen, sagte sie – und wie sehr sie ihre Tanzstunden geliebt hatte. Die Ureinwohner lauschten gebannt. Tanz als Ausdrucksmittel war ihnen vertraut. Jacqueline fügte hinzu, dass ihre Mutter für ihr Leben gern unterrichtet habe, dass es ihr größter Wunsch gewesen sei, nach vielen Jahren als professionelle Balletttänzerin ihr Wissen an die nächste Generation weiterzugeben. Dann wollten die Ältesten wissen, weshalb sie nach Australien gekommen und wo ihr Vater sei.
    Nick näherte sich leise dem Lager, Jacqueline bemerkte ihn nicht. Er war Dixies Spuren bis zu der Felsspalte gefolgt, wo er zahlreiche Fußabdrücke und Blutspuren entdeckt hatte. Er hatte sofort gewusst, dass Jacqueline sich in der Gewalt der Aborigines befand, auch wenn er vermutete, dass das Blut von einem erlegten Tier stammte. Zutiefst beunruhigt hatte er die Spuren bis zum Lager verfolgt. Als er Jacqueline unversehrt am Lagerfeuer sitzen sah, überkam ihn eine unsagbare Erleichterung.
    Nick hatte viele Male Lager der Ureinwohner aufgesucht, so auch an diesem Tag auf seiner Suche nach Yuri. Da die Aborigines sich frei auf Wilpena bewegen durften, erhoben sie keine Einwände gegen seine Anwesenheit. Dennoch musste er ihnen mit Respekt

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