Leuchtende Sonne weites Land - Roman
auch. Hätten Sie uns bloß nicht diesen Floh mit den hässlichen Männern ins Ohr gesetzt. Jetzt fragen wir uns ständig, was uns da draußen wohl erwartet.«
Jacqueline musste lächeln. Sie wusste, dass Vera nur Spaß machte. »Rechnen Sie mit dem Schlimmsten, dann sind Sie hinterher angenehm überrascht.«
»Na, wunderbar. Es wird Zeit für uns, sonst verpassen wir noch den Zug.« Tess drückte Jacqueline kurz und gab ihr einen Kuss auf die Wange. Dann liefen sie hinaus zum Taxi, das gerade angekommen war. Auch Vera umarmte sie. »Alles Gute, Jacqueline.« Die Frauen stiegen ein, zogen die Türen zu und winkten durch das offene Fenster.
»Ich wünsche Ihnen viel Glück!« Jacqueline winkte, bis sie das Taxi aus den Augen verlor. Eine tiefe Traurigkeit überkam sie. Sie wusste nicht, wie sie die letzten vierundzwanzig Stunden ohne die Hilfe dieser beiden großartigen Frauen überstanden hätte. Sie vermisste sie jetzt schon. Auf einmal fühlte sie sich furchtbar einsam.
Vera und Tess saßen am Fenster des Zuges, der kurz vor der Abfahrt in Port Adelaide stand. Sie würden in die Stadt zum Hauptbahnhof fahren und dort in einen anderen Zug umsteigen, der sie am Nachmittag weiter nach Port Augusta bringen sollte.
Der Schaffner hatte bereits das Signal zur Abfahrt gegeben, als Tess glaubte, sie habe Jacqueline vorbeihasten sehen. Erst als sie George Cavendish erkannte, der mit Jacquelines Koffer in der Hand über den Bahnsteig eilte, war ihr klar, dass sie sich nicht getäuscht hatte.
»Vera, guck mal, da kommt Jacqueline!«, rief sie aufgeregt.
Die Frauen beugten sich aus dem Fenster und kreischten vor Freude, als sie Jacqueline in den Zug steigen sahen. George reichte ihr ihren Koffer hinauf, der Schaffner schloss die Tür und kontrollierte Jacquelines Fahrkarte. Dann setzte sich der Zug mit einem Ruck in Bewegung.
Einige Augenblicke später betrat Jacqueline das Abteil.
»Was machen Sie denn hier?«, fragte Vera fröhlich, während Tess George Cavendish zuwinkte.
»Ich hab’s mir anders überlegt«, stieß Jacqueline noch ganz außer Atem hervor. »Mr. Cavendish hat mich hergefahren, nachdem ich den Vertrag unterschrieben hatte.«
»Das ist ja wundervoll!« Vera klatschte vor Begeisterung in die Hände. »Aber woher auf einmal dieser Sinneswandel?«
»Na ja, ich habe mir überlegt, wie mutig es von euch ist, ein neues Leben mit einem Mann anzufangen, den ihr überhaupt nicht kennt. Und da habe ich mir gesagt, wenn ihr das könnt, dann kann ich mich doch für ein Jahr verpflichten, einen Haushalt zu führen.« Sie lächelte verlegen und fügte augenzwinkernd hinzu. »Außerdem habe ich mich einsam gefühlt ohne euch zwei!«
5
Der Bahnhof in Adelaide war ein massiver Sandsteinbau im neoklassizistischen Stil. Die drei Frauen bestaunten die riesige Marmorhalle mit ihrem Kuppeldach, die als Wartesaal diente. Während in den oberen drei Stockwerken des Gebäudes die Eisenbahnverwaltung untergebracht war, befanden sich auf der unteren Ebene eine große Cafeteria, ein Friseur und Toiletten.
Nachdem sie eine Kleinigkeit in der Cafeteria gegessen und sich danach ein wenig frisch gemacht hatten, gingen die drei zu den Bahnsteigen, von denen es dreizehn gab. Der Ghan stand bereits auf den Gleisen. Er kam zweimal die Woche durch Port Augusta, wenn er nach Alice Springs im Norden fuhr. Als Vera den Zugführer fragte, warum der Zug Ghan heiße und was das auf einem der Waggons aufgemalte Kamel zu bedeuten habe, erklärte er ihr, der Spitzname gehe auf die afghanischen Kameltreiber zurück, die bei der Erschließung des Landesinneren von unschätzbarem Wert gewesen seien. Ohne sie wären die Städte im Outback niemals gegründet worden und niemals überlebensfähig gewesen.
»Gibt es denn heute auch noch Kamele im Outback?«, wollte Vera wissen.
»O ja, in Broken Hill und Marree gibt es große afghanische Gemeinden, aber auch in kleineren Orten überall im Land leben Afghanen und züchten Kamele. Die in Australien gezüchteten Tiere sind nicht mit Räudemilben infiziert, deshalb werden sie oft nach Übersee exportiert. Komisch, nicht wahr? Australische Kamele gehen nach Arabien!«
»Das ist wirklich faszinierend«, meinte Vera ganz aufgeregt.
Jacqueline hingegen zweifelte mehr denn je an der Richtigkeit ihrer Entscheidung, als sie hörte, dass die Menschen im Outback zum Überleben auf Kamele angewiesen waren.
Andererseits, so sagte sie sich, würde sie auf Wilpena wenigstens ein Dach über dem Kopf haben und
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