Leuchtende Sonne weites Land - Roman
auf. »Ich liebe Blumen. Wir hatten einen wunderschönen Garten«, fuhr sie wehmütig fort.»Er war nicht besonders groß, aber wir hatten ein paar Bäume und alle möglichen Blumen.« Wieder musste sie an Henry denken, der ihr einen Garten an ihrem neuen Wohnort versprochen hatte. Der Gedanke stimmte sie traurig.
»Ich könnte mir denken, dass es auf Wilpena Station einen Garten gibt«, sagte Vera, um sie aufzuheitern. »Platz genug haben sie dort bestimmt.«
»Meinen Sie?«, fragte Jacqueline hoffnungsvoll.
»Wundern würde es mich nicht.«
Nach mehrstündiger Fahrt fuhr der Zug in den Bahnhof von Port Augusta ein. Das 1852 gegründete Port Augusta war ein Naturhafen und nach Augusta Sophia Young, der Ehefrau des damaligen Gouverneurs von South Australia, Sir Henry Edward Fox Young, benannt worden. Die Hafenstadt lag an der Ostküste einer Halbinsel, der Eyre Peninsula, am nördlichen Ende des Spencer Gulf. Mit der Erschließung landwirtschaftlicher Flächen im Norden und Nordwesten von South Australia wuchs auch die Stadt. Eine anhaltende Dürre in den Sechzigerjahren des 19. Jahrhunderts brachte einen Rückschlag in der wirtschaftlichen Entwicklung, aber mit der Transaustralischen Eisenbahn kehrte 1912 der Wohlstand zurück. Das Industriezeitalter wurde eingeläutet, und der Hafen stand nicht länger im Mittelpunkt der Aktivitäten.
Vera und Tess waren nervös, weil die erste Begegnung mit Michael Rawnsley oder Tim Edwards bevorstand. Sie wussten nicht, wer von beiden sie abholen würde. Auch Jacqueline war trotz der Sorge um ihre ungewisse Zukunft neugierig.
Auf dem Bahnhof herrschte Hochbetrieb, weil fast gleichzeitig mit dem Ghan der Indian Pacific , der von Sydney nach Perth verkehrte, eingetroffen war. Die drei Frauen schleppten ihr Gepäck auf den Bahnsteig, wo sie sich suchend umschauten. Ein Meer von Gesichtern wogte um sie herum, aber niemand trat auf sie zu. Nach einer Weile fuhr der Ghan Richtung Norden ab, der Indian Pacific verließ den Bahnhof wenig später in Richtung Westen. Die drei Frauen blieben allein auf dem Bahnsteig zurück und sahen sich neugierig um.
»Auf in ein neues Leben!«, sagte Vera. Sie wandte sich an Jacqueline. »Ab jetzt sollten wir aber zum unkomplizierteren Du übergehen.«
Tess stimmte ein. Dann sah sie sich suchend um. »Es ist keiner da! Ich glaub’s einfach nicht!«, sagte sie verdutzt. »Und was machen wir jetzt?«
»Wir warten noch eine Weile«, beruhigte Vera sie. »Vielleicht ist demjenigen, der uns abholen soll, ja irgendwas dazwischengekommen, und er verspätet sich.«
Tess blickte besorgt drein. »Oder er war da, hat uns nicht gefunden und ist wieder gegangen.«
»Das kann ich mir nicht vorstellen.« Vera schüttelte den Kopf. »Wir warten einfach noch ein paar Minuten.«
Die Frauen gingen mit ihrem Gepäck zu einer Bank und setzten sich.
»Mr. Cavendish hat gesagt, er habe gestern mit dem Quorn Hotel telefoniert, und der Besitzer hätte versprochen, auf Wilpena Bescheid sagen zu lassen, dass wir heute ankommen. Die haben uns bestimmt nicht vergessen«, fügte Vera beruhigend hinzu. Insgeheim war auch sie besorgt, aber sie wollte nicht, dass Tess sich unnötig aufregte.
»Gibt’s denn auf Wilpena kein Telefon?«, fragte Jacqueline. Wie primitiv musste die Farm denn sein, wenn es nicht mal ein Telefon gab? Wie sollte sie da mit Vera und Tess in Verbindung bleiben?
»Anscheinend nicht«, erwiderte Vera, und Jacquelines Stimmung trübte sich noch mehr.
Eine Stunde später saßen die Frauen immer noch da, und ihre Enttäuschung wuchs mit jeder Minute. Jacqueline sah sich in ihren Vorbehalten, was das Leben auf dem Land anging, bestätigt undärgerte sich, dass sie den Vertrag für eine Anstellung auf einer Farm unterschrieben hatte, wo es nicht einmal ein Telefon gab. Außer ein paar Bahnangestellten und einigen Reisenden, die sich Fahrkarten kauften, hielt sich niemand mehr im Bahnhof auf.
Tess wandte sich an Vera. »Mr. Cavendish hat doch gesagt, dass wir am Bahnhof abgeholt würden, oder?«
Vera nickte. »Ja, da bin ich mir ganz sicher.«
»Ich finde, wir sollten uns irgendwo ein Hotel suchen«, meinte Tess mutlos. Sie hatte diesen Vorschlag jetzt schon drei Mal gemacht. »Ich hab keine Lust, hier auf dem Bahnhof herumzusitzen, wenn es dunkel wird.« Sie guckte sich ängstlich um.
»Wir warten noch ein paar Minuten«, entschied Vera. »Wenn doch noch jemand kommt, weiß er nicht, wo er uns suchen soll.« Sie stand auf, um sich die Beine ein
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