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Leuchtende Sonne weites Land - Roman

Titel: Leuchtende Sonne weites Land - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth Haran Sylvia Strasser
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Geld verdienen. Sie würde die Trennung von Henry verarbeiten und sich überlegen können, was sie mit dem Rest ihres Lebens anfangen wollte, während sie gleichzeitig ein bisschen was für die Zukunft zurücklegen konnte. Ein weiterer, nicht unwesentlicher Vorteil war, dass Vera und Tess in der Nähe wohnen würden, falls es mit ihren Heiratsabsichten klappte. Sie hatte die beiden wirklich gern; es war gut zu wissen, dass jemand da war, auf den man sich verlassen konnte.
    Eine Stunde später hatten sie die Stadt und all ihre Vororte hinter sich gelassen. Die Landschaft, die am Zug vorbeisauste, hatte sich dramatisch verändert, und Jacquelines Zweifel wurden wieder stärker. Mit wachsendem Unbehagen sah sie, wie das Land offener und flacher wurde und sich in eine dürre Einöde verwandelte. Die winzigen Häuser in den kleinen Ortschaften, durch die sie kamen, standen auf weitläufigen, staubigen Grundstücken. Nicht wenige Anwesen schienen unbewohnt, schon vor langer Zeit verlassen. Jacqueline kamen sie wie Zeugen des immerwährenden Kampfes gegen die Natur vor, der die Bewohner irgendwann zermürbt hatte. Sie dachte an ihr wunderschönes Backsteinhaus in der West Side von New York und fühlte plötzlich Übelkeit aufsteigen.
    »Eine trostlose Gegend, nicht?«, bemerkte sie, ohne ihre Enttäuschung zu verbergen.
    »Ich finde, die Landschaft ähnelt manchen Teilen der usa «, erwiderte Vera unbekümmert. »Vor allem dem Westen.«
    »Das kann ich offen gestanden nicht beurteilen. Ich bin so gut wie nie aus New York rausgekommen. Das einzig annähernd Ländliche, das ich in den letzten zwanzig Jahren gesehen habe, ist der Central Park«, gestand Jacqueline.
    »Sind Sie in den Staaten geboren worden?«, fragte Tess, die einen leichten Akzent bei Jacqueline herauszuhören meinte.
    »Nein, ich bin in Stoke-on-Trent in Staffordshire geboren worden. Das liegt etwa auf halbem Weg zwischen Manchester und Birmingham.« Zu ihren spärlichen Kindheitserinnerungen gehörten jene an üppig grüne Wiesen und kurvenreiche schmale Landstraßen.
    »Im Ernst?« Vera machte große Augen. »Ich komme nämlich aus Nottingham. Meine Eltern sind nach Amerika ausgewandert, als ich fünfzehn war.«
    Jacqueline wunderte sich, weil ihr nicht die Spur eines englischen Akzents aufgefallen war. Aber Vera war auch einige Jahre älter und hatte länger in den Staaten gelebt.
    »Wie alt waren Sie, als Sie in die usa kamen?«, fragte Vera.
    »Fast zwölf«, antwortete Jacqueline knapp. Sie sprach nicht gern über ihre Kindheit. Aber weil sie nicht unhöflich erscheinen wollte, fügte sie hinzu: »Mein Vater arbeitete für die britische Botschaft und wurde nach Amerika versetzt.«
    »Das ist interessant«, meinte Tess. »Ist Ihre Familie direkt nach New York gezogen?«
    Jacqueline zögerte. »Nein, wir wohnten zuerst in Atlanta.« Sie schaute aus dem Fenster, in der Hoffnung, dass die beiden Frauen den Wink verstanden.
    Doch Tess ließ nicht locker. Sie rechnete kurz nach und sagte dann: »Das muss in den Vierzigerjahren gewesen sein, nicht?«
    Jacqueline nickte nur. Schmerzliche Kindheitserinnerungen stiegen in ihr empor.
    »Das war keine leichte Zeit in den Südstaaten in den Vierziger- und Fünfzigerjahren«, fuhr Tess im Plauderton fort. »Meine Familie hat eine Zeit lang in Mississippi gelebt. Ich kann mich kaum noch daran erinnern, weil ich damals noch zu klein war, aber meineEltern haben erzählt, dass sie einige Male umziehen mussten, weil es immer wieder zu Unruhen kam. Irgendwann hatte mein Dad genug davon, und wir sind ganz aus dem Süden weggezogen. Wie war das bei Ihnen?«
    Jacqueline rutschte unruhig auf ihrem Platz hin und her. Bruchstücke von Erinnerungen zogen an ihrem geistigen Auge vorbei: die aufgebrachte Menge, die sich, mit den Fäusten drohend und Beschimpfungen rufend, vor dem Haus versammelt hatte; der letzte Blick auf ihr Zuhause, wo bereits die Flammen aus dem Dachstuhl in den Nachthimmel loderten, als sie mit dem Auto geflüchtet waren.
    »Mein Vater und ich sind 1946 nach New York gezogen«, sagte sie schließlich. Tess und Vera machten ein verdutztes Gesicht, und so fügte sie leise hinzu: »Das war gleich nach dem Autounfall …«
    »Oh«, machte Tess erschrocken.
    Sie und Vera, die ebenfalls ahnte, dass sich damals etwas Furchtbares zugetragen haben musste, wechselten einen bedeutungsvollen Blick und schwiegen betreten.
    »Meine Mutter und mein kleiner Bruder kamen dabei ums Leben«, flüsterte Jacqueline kaum

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