Leuchtende Sonne weites Land - Roman
»Was macht denn die Wanne hier draußen?«
»Die habe ich herausgeschafft, als ich die Dusche eingebaut habe. Für eine Badewanne braucht man viel zu viel kostbares Wasser aus der Zisterne. Das wäre eine Verschwendung.«
Jacqueline hielt es für Verschwendung, eine Badewanne so zweckentfremdet verkommen zu lassen. Zu Hause in New York hatte sie fast täglich ein Schaumbad genommen, manchmal Kerzen auf dem Wannenrand aufgestellt und eine gute Stunde so richtig entspannt. Das fehlte ihr ganz schrecklich.
»Wir benutzen die alten Wannen als Pferdetränke«, fuhr Ben fort.
»Als Pferdetränke?« Was für ein Frevel, dachte Jacqueline.
»Ja, dafür eignen sie sich ganz hervorragend. Man kann den Stöpsel ziehen, das alte Wasser ablaufen lassen und sie leicht reinigen.«
Sie gingen zum Hühnerstall, der hinter dem Gemüsegarten lag. In dem eingezäunten Pferch stand eine Holzhütte, in der die Hühner nachts schliefen und ihre Eier in kleine Kisten legten. Ben öffnete das kleine Gatter und hielt es für Jacqueline auf. Sie zögerte, als sie den mistbedeckten Boden sah und blickte dann auf ihre weißen Sandalen.
»Nun machen Sie schon!« Ben fasste sie am Arm und zog sie energisch in den Pferch. Ein Dutzend Hennen trippelte auf Futtersuche umher. »Ich hab keine Lust, den Hühnern nachzulaufen, wenn sie entwischen, und wenn sie sich zu weit weg wagen, werden die Dingos sie holen.«
»Dingos? Sind das nicht diese Wildhunde?« Vera und Tess hatten sich auf der Zugfahrt nach Port Augusta über diese Tiere unterhalten.
»Ganz recht, und für einen hungrigen Dingo ist ein Huhn ein gefundenes Fressen. Außerdem gibt’s hier auch den einen oder anderen Fuchs.«
»Greifen sie auch uns an? Die Dingos, meine ich.«
Ben schüttelte den Kopf. »Nein, aber manchmal, wenn sie wirklich hungrig sind, kann es sein, dass sie ein Kind als Beute betrachten.«
»Ein Kind! O Gott!«
Jacqueline suchte mit den Blicken ängstlich die Umgebung ab, während Ben das Gatter zumachte und mit dem mitgebrachten Eimer zum Hühnerstall ging. Die Hennen scharten sich neugierig um Jacqueline, gackerten aufgeregt, scharrten im Dreck und schlugen mit den Flügeln.
»Ben, Hilfe!«, kreischte sie, als ein Huhn an ihrer Hand pickte, und riss ihre Arme hoch.
Ben kam zu ihr gelaufen. »Was ist denn los?«
»Die Viecher gehen auf mich los!«, schrie sie entsetzt.
»Das ist nicht Ihr Ernst, oder?« Ben verscheuchte die Hühner mit dem Fuß.
»Doch, sie können mich nicht leiden!«, stieß Jacqueline aus, die Augen vor Angst weit aufgerissen.
Bens Söhne beobachteten die Szene von der Hintertür aus und wollten sich schier totlachen.
»Reden Sie doch keinen Blödsinn«, meinte Ben kopfschüttelnd. »Die sind bloß hungrig, das ist alles.« Er ging zum Tor und verließ den Pferch.
»Sie können mich doch nicht hier allein lassen!«, rief Jacqueline panisch, als die Hennen sich aufs Neue um sie scharten.
»Ich will bloß das Futter holen«, versetzte Ben ungeduldig.
Ein großes schwarzes Huhn pickte an der Schnalle ihrer Sandale, und Jacqueline stieß einen markerschütternden Schrei aus. »Sie beißen mich!«
Ben verdrehte gereizt die Augen. Er stapfte zu einer Holzkiste und schöpfte mit einer Kelle Körner in einen Eimer. Dann kehrte er zum Hühnerpferch zurück, wo Jacqueline immer noch kreischend und mit den Armen rudernd von einem Fuß auf den anderen hüpfte. Ohne sie zu beachten, ging Ben zu einem Trog und schüttete das Futter hinein. Sofort kamen die Hühner herbeigerannt und begannen zu picken. Ben wandte sich Jacqueline zu und musterte sie, als hätte er eine Irre vor sich.
»Erstens können Hühner nicht beißen. Sie haben keine Zähne.«
»Nein?« Jetzt, wo sie darüber nachdachte, wurde ihr klar, dass er Recht hatte. Sie kam sich auf einmal ziemlich dumm vor.
»Und zweitens frage ich mich, wie eine erwachsene Frau Angst vor einem harmlosen kleinen Huhn haben kann!«
»Eines hat mich angegriffen. Da, sehen Sie?« Jacqueline zeigte auf einen winzigen roten Fleck an ihrer Hand.
»Meine Güte, Sie können wirklich von Glück sagen, dass Sie nicht genäht werden müssen.« Ben verdrehte viel sagend die Augen. »Diese verdammten Städter haben keinen blassen Schimmer«, knurrte er vor sich hin.
Jacqueline hörte es, aber es war ihr egal. Sie lief Ben hinterher, als hinge ihr Leben davon ab. Als er das Tor hinter ihnen geschlossen hatte, kam sie sich noch törichter vor. Die Hennen pickten friedlich ihre Körner und hatten
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