Leuchtende Sonne weites Land - Roman
Stammesältesten, mir eine Medizin zuzubereiten. Die Entzündung ging zurück, die Wunde heilte ab. Die Aborigines überleben seit tausenden von Jahren ohne Krankenhäuser und Ärzte. Und da sagte ich mir, das kann ich auch.«
Jacqueline sann über seine Worte nach.
»Auch meine Söhne haben Ängste.«
»Wirklich?«
»Natürlich. Geoffrey hat sich als Kind vor der Dunkelheit gefürchtet. Gewitter mag er heute noch nicht, und vor tiefem Wasser hat er Angst. Na ja, Gewitter gibt’s bei uns nur selten, unddie Flüsse sind die meiste Zeit ausgetrocknet. Bobby hatte früher panische Angst vor Geistern. Er redet nicht mehr viel darüber, aber mir ist aufgefallen, dass er nachts nicht allein aus dem Haus geht. Jimmy kann kein Blut sehen, nicht einmal vom Nasenbluten, und Sid fürchtet sich merkwürdigerweise vor Motten. Merkwürdigerweise deshalb, weil Motten zum Speiseplan der Ureinwohner gehören. Sie sehen also, jeder Mensch fürchtet sich vor irgendetwas.«
Jacqueline blickte gedankenverloren in die Ferne.
Ben warf ihr einen flüchtigen Blick zu. »Verglichen mit New York muss es hier sehr ruhig sein.«
»Stimmt. Ich frage mich, wie ich mich daran gewöhnen soll.«
»Cindy ist es nicht leichtgefallen, sich an die Einsamkeit zu gewöhnen«, sagte Ben seufzend. »Ich war nicht gerade der perfekte Ehemann, wissen Sie. Ich habe meine Frau oft allein gelassen, weil ich auf der Farm zu tun hatte.«
»Sie hat bestimmt verstanden, dass es nicht anders ging.«
»Trotzdem. Ich wünschte, ich hätte ihr öfter gesagt, wie dankbar ich ihr war für alles, was sie getan hat.« Ben schwieg einen Augenblick. »Geoffrey und seine Brüder vermissen ihre Mutter ganz furchtbar.«
»Das kann ich gut verstehen«, flüsterte Jacqueline.
»Dann können Sie vielleicht auch verstehen, dass jede Frau verglichen mit ihrer Mutter schlecht abschneiden muss.«
»In meinem Fall stimmt das ja auch noch«, erwiderte sie trocken. »Aber ich bin doch nicht hier, um den Platz ihrer Mutter einzunehmen.«
»Wenn man trauert, denkt man nicht rational, sondern mit dem Herzen.«
Jacqueline erwiderte nichts darauf. Sie wusste, was es hieß zu trauern. Ben erzählte ihr nichts Neues.
»Die Jungen idealisieren ihre Mutter in der Erinnerung. Deshalb fällt es ihnen so schwer, eine neue Frau im Haus zu akzeptieren. Cindy war in der Tat eine wunderbare Mutter und Ehefrau. Sie war zu gut für diese Welt.«
Ben ließ seine Blicke über das Land schweifen. Er bewunderte seine Schönheit, wusste aber auch, wie unerbittlich und grausam das Leben in der Einöde sein konnte.
Jacqueline, die sich über seine seltsame Bemerkung wunderte, sah ihn verstohlen an.
»Es war unsagbar hart, sich einen Platz hier draußen zu schaffen, so viele gute Menschen haben alles verloren.«
»Aber Sie sind doch sehr erfolgreich als Farmer, oder? Ich meine, wenn ich mir das alles ansehe …«
»Es stimmt, wir hatten gute Jahre, aber sehr viel mehr schlechte. Wenn der Regen kommt und die Ernte gut ausfällt und die Lämmer fett werden, neigt man dazu, die schlechte Zeit zu vergessen. Aber es hat seit mindestens vier Jahren nicht mehr richtig geregnet, und das bricht vielen das Genick. Die Bensons zum Beispiel stehen dicht am Abgrund. Gut möglich, dass sie noch dieses Jahr aufgeben müssen, und wenn der Regen nicht endlich kommt, werde ich der Nächste sein. Dezember, Januar, Februar sind immer schon trockene Monate gewesen, es sieht also nicht besonders gut aus.«
Jacqueline, die nichts von Bens großen Sorgen geahnt hatte, kam sich auf einmal dumm vor – ihre eigenen Probleme waren im Vergleich dazu so unbedeutend.
»Sehen Sie sich bloß das Gras an.« Ben riss eine Hand voll dürrer Halme aus dem staubigen Boden und warf sie enttäuscht zur Seite. »Die armen Schafe finden kein Futter mehr. Sie magern immer mehr ab. Wenn das so weitergeht, werde ich sie erschießen müssen.«
Jacqueline schnappte erschrocken nach Luft. »Das ist nicht Ihr Ernst!«
»Leider doch«, sagte Ben todunglücklich. »Ich prüfe unsere Wassertanks immer sorgfältig auf undichte Stellen. Wir sind aufjeden Tropfen angewiesen. Zum Glück können die Schafe das Brunnenwasser trinken.«
Jacqueline senkte den Blick. Sie hatte ein furchtbar schlechtes Gewissen, weil sie Wasser zum Baden verschwendet hatte. Hätte sie geahnt, wie schlecht es stand, hätte sie das gewiss nicht getan.
Ben sah sie an. »Wir brauchen Sie hier, Jackie. Ich brauche Sie, damit Sie aus meinem Haus ein Zuhause machen und
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