Leuchtendes Land
Küche zu holen. Heute morgen hatte er vor Mr. Warburton ein Loblied auf Lil gesungen. Dennoch fühlte sie sich nicht zu ihm hingezogen, obwohl sie längst bemerkt hatte, dass er ihr gegenüber immer sehr freundlich war. Wie würde er sich verhalten, wenn Miss Lavinia zurückkehrte und sie beschuldigte? Würde er sich auf Lils Seite stellen und sie gegen seine eigene Arbeitgeberin verteidigen? Wohl kaum. Er hatte sich auch nicht für die Mädchen eingesetzt, die Miss Lavinia verprügelt hatte.
»Nein«, sagte sie sich, »ich brauche keinen Schönwetterfreund, Jordan. Du kannst mir nicht nützen.« Ihre Gedanken wanderten zurück zu Clem Price, dem Besitzer von Lancoorie und Adoptivvater ihres anderen Babys. Er war groß, hatte ein gutgeschnittenes, hübsches Gesicht und unterschied sich beträchtlich von dem rauhen Jordan, der kaum mehr war als ein ausgewachsener Bauernjunge. Clem Price hatte Klasse. Bis heute konnte Lil nicht begreifen, dass ausgerechnet dieser Mann eine prüde Zicke wie Thora Carty geheiratet hatte, doch dann fiel ihr ein, dass Thora in anderen Umständen gewesen war. Manchmal traf es diejenigen, von denen man es am wenigsten erwartete.
Lil betrat Minchfield House durch das Hauptportal und ging die prächtige Treppe aus Zedernholz hinauf, die das Feuer zum Glück verschont hatte. Sie wandte sich von dem klaffenden Loch am Ende des Flurs ab und untersuchte die übrigen Räume, bis sie schließlich in Mr. Warburtons Suite gelangte.
Liebevoll erforschte sie die einzelnen Zimmer, berührte das breite Mahagonibett und das dazu passende Mobiliar, den exquisiten Intarsientisch, das erlesene Porzellan im Badezimmer und den großen Schaukelstuhl im Wohnzimmer, von dem aus sich ein prächtiger Blick auf den Fluss bot.
Wie lebte es sich wohl, wenn man so reich war? Wenn ein Teil des Hauses niederbrannte und man einfach nur die Anweisung geben musste, ihn wieder aufzubauen? Wie lebte es sich in solchen Zimmern und mit Dienstboten, die einem jeden Wunsch von den Augen ablasen?
Mr. Warburton wohnte bei Freunden in Perth, kam aber einmal wöchentlich nach Minchfield, um den Fortschritt der Arbeiten zu begutachten und sich mit Jordan zu besprechen. Die Mahlzeiten nahm er in der Bibliothek ein. Das Hämmern und Klopfen am anderen Ende des Hauses machte ihm offenbar nichts aus.
Wenn Lil ihm das Essen servierte, war er stets in Papiere vertieft, die auf dem ganzen Tisch verstreut lagen und die er einfach beiseiteschob, damit sie ihr Tablett abstellen konnte. Er schien es zu genießen, so viel Beschäftigung zu haben. Sein Lebensstil war längst nicht mehr so beschaulich wie früher. Lil berichtete Mrs. Morgan, er habe sogar recht fröhlich gewirkt.
Sie erkundigte sich bei jedem dieser Besuche nach Miss Lavinia, deren Rückkehr wie ein Damoklesschwert über ihr hing, doch Mr. Warburtons Antworten klangen verwirrend. Er pflegte den Kopf zu schütteln und zu murmeln: »Oh, die arme Miss Lavinia.« Die schrecklichen Brandwunden heilten zwar, doch sei sie noch immer ernsthaft krank.
Lil und die Köchin brüteten über diesen Nachrichten.
»Muss wohl die Brust sein«, meinte Mrs. Morgan. »Hat zu viel Rauch eingeatmet und sich die Lunge verbrannt.«
»Davon müsste sie sich aber inzwischen erholt haben. Vielleicht hat sie eine Lungenentzündung bekommen, aber das hätte er mir doch sagen können.«
»In diesen Krankenhäusern weiß man ja nie. Mag sein, dass sie sich eine ansteckende Krankheit geholt hat, die Ärmste. Als ob die Verbrennungen nicht schon schlimm genug wären.«
Lil vermutete, die Köchin habe recht, fürchtete aber dennoch Mr. Warburtons Besuche bei seiner Schwester. Miss Lavinia musste schon sehr krank sein, sonst hätte sie Lils Entlassung auch vom Krankenbett aus in die Wege leiten können. Eine Frau wie sie konnte nur im Sterben liegen, wenn sie sich von solchen Dingen abhalten ließ, und das wiederum konnte Lil nicht so recht glauben.
Dann endlich war es so weit. Mr. Warburton ließ nach Lil rufen, nachdem er in Begleitung eines weiteren Gentlemans aus Perth eingetroffen war.
Beide erwarteten sie in der Bibliothek und wirkten sehr ernst. Auf ihre Aufforderung hin nahm Lil zitternd Platz.
Wie sich herausstellte, war der andere Mann ein Anwalt, der ihr einige Fragen stellen wollte.
»Ich möchte, dass Sie wahrheitsgemäß antworten, Mrs. Cornish«, sagte Mr. Warburton freundlich. »Sie brauchen keine Angst zu haben. Wir möchten nur einige Dinge klarstellen.«
Die beiden
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