Leuchtendes Land
verzweifelter wurde Lillian. Allmählich wurde die Zeit knapp, und in allen anderen Geschäften waren sie schon gewesen.
»Nehmen wir das blaue«, sagte sie, »ich probiere es einmal an.«
Lillian hätte jedes dieser Kleider genommen. Noch nie in ihrem Leben hatte sie so prachtvolle Abendroben gesehen. Dass Robert sich der Besitzerin gegenüber so danebenbenahm, stieß Lillian ab.
Er setzte die Brille auf und sah sich das üppige Seidenkleid, dessen Mieder mit winzigen Perlen bestickt war, von allen Seiten an.
»Es ist wunderschön, Robert«, flüsterte Lillian.
»Lassen Sie mich sehen, was Sie sonst noch haben«, wies er die Besitzerin an. Als sie verschwunden war, um weitere Kleider aus dem Lager zu holen, wandte er sich an Lillian. »Sei so gut und überlasse mir die Entscheidung. Wir können das blaue nehmen, wenn es dir passt, aber es ist einfach nicht das Richtige. Wenn du meine Frau werden willst, darfst du nicht aussehen wie irgendjemand. Ich habe diesen blauen Fummel jeweils mit kleinen Abweichungen in jedem Schaufenster gesehen. Das Kleid ist einfach zu gewöhnlich, Lillian.«
Die Frau kehrte mit einer exquisiten Robe aus cremefarbenem Satin zurück.
»Allmählich kommen wir der Sache näher. Probier es an, Lillian.«
»Aber du magst doch keinen Satin.«
»Keinen roten Satin. Der hier ist champagnerfarben, das hier ist etwas völlig anderes. Sehr schlicht.«
Das elegante Kleid mit dem weiten Ausschnitt, der engen Taille, Tournüre und kurzer Schleppe verlieh Lillian ein ungeheures Selbstvertrauen. Als sie aus der Umkleidekabine trat und Roberts zufriedenes Lächeln sah, spürte sie auf einmal, welche Macht ihr ihre erotische Ausstrahlung verlieh. Ihre Brüste zeichneten sich unter dem üppigen Satin ab. Sie waren durch das Korsett derart hochgedrückt worden, dass ihr das Kleid beinahe zu gewagt erschien, doch Robert hatte keine Einwände.
»Hervorragend«, sagte er, »wir nehmen dieses Kleid. Muss etwas geändert werden?«
»Nein, Sir«, erwiderte die Ladenbesitzerin, »es passt Madam perfekt. Es ist aus dem allerbesten Satin, was sich natürlich im Preis niederschlägt …«
»Dachte ich mir«, sagte er laut zu Lillian, »das Beste heben sie sich für den Schluss auf, weil sie hoffen, dass wir etwas kaufen, was andere Leute nicht wollten.«
In der Umkleidekabine entschuldigte sich Lillian. »Es tut mir leid. Es ist einfach seine Art.«
»Sie sehen wunderbar aus, Madam. Das Kleid ist wie für sie gemacht. Und entschuldigen Sie sich nicht für den Herrn, er wird es schon wissen.«
Lillian warf der Boutiquebesitzerin einen dankbaren Blick zu und begriff, dass sie aus den Schwächen von Männern wie Robert Kapital schlug. Sie seufzte.
Henery Whipple war hingerissen von dem Kleid. »Es ist herrlich! Ziehen Sie es für mich an, Lillian, bitte.«
»Das ist nicht nötig«, warf Robert ein. »Du wirst es beim Fest sehen.«
»Warte einen Moment.« Henery eilte davon und kam mit einem Paar tropfenförmiger Diamantohrringe zurück. »Nehmen Sie diese, meine Liebe. Sie passen ausgezeichnet zu Ihrem Kleid. Sie haben meiner Mutter gehört, die sie wiederum meiner Frau vermacht hat. Jetzt möchte ich sie Ihnen schenken. Was hältst du davon, Robert? Sehen sie nicht großartig aus?«
Doch an Henerys großem Abend nahm Robert Lillian beiseite. Sie waren im Begriff aufzubrechen. Henery war bereits vorausgefahren.
»Du kannst die Ohrringe jetzt ausziehen, Lillian. Sie sind farblos. Nimm diese.«
Er reichte ihr ein Paar kleine, in Gold gefasste Rubinohrringe.
»Sehr viel passender«, erklärte er. Lillian legte sie an, betrachtete sich im Spiegel und küsste ihn. »Du weißt immer, was das Beste ist, mein Lieber.«
Das Rathaus war mit Laub, Blumen und Luftballons geschmückt. »Sieht aus wie bei einem Scheunenfest«, bemerkte Robert.
Henery stand mit einigen Kollegen am Eingang und begrüßte die Gäste. Anschließend wurden sie in den überfüllten Rathaussaal geführt, wo sie dann steif und von Fremden umgeben an langen Tischen saßen und Austern, Suppe, Huhn mit Gemüse und Weincreme aßen. Dazu wurde in großen Mengen Wein ausgeschenkt.
Lillian fand alles herrlich: die große Tafel, an der wichtige Persönlichkeiten Platz genommen hatten, die Reden, die auf Henery gehalten wurden, die Huldigungen der Politiker, die darauf bestanden, ein paar Worte sagen zu dürfen. Sie war so stolz auf Henery, der all die Lobeshymnen so gelassen aufnahm, Scherze machte und sogar eines seiner Liedchen
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