Leuchtendes Land
bis ein Mann George
die
Frage stellte: »Stimmt es, dass du ein Sträfling bist, Kumpel?«
»War«, sagte George ungerührt, doch Alice wandte sich voller Zorn an den Fragesteller.
»Wie können Sie es wagen, so mit Mr. Gunne zu sprechen!«, Sie holte mit ihrer Handtasche aus. »Aus dem Weg, Sie Grobian!«
Man brachte sie ins Cottage. Unterwegs erfuhren sie zu ihrem Erstaunen, dass Clem und Thora nicht zusammengewohnt hatten.
»Clem hat das nie erwähnt«, meinte George, »ebenso wenig Thora. Sie hat nicht mehr geschrieben, seit Clem in der Stadt war. Was ist denn geschehen?«
Vosper schüttelte den Kopf. »Ich habe Ihnen alles erzählt, was ich weiß. Sie schienen sich ganz gut zu verstehen und freuten sich auf den Umzug ins Strandhaus, doch vor einigen Tag muss es Streit gegeben haben. Ich dachte, es sei nichts Ernstes.«
»Das war wohl ein Irrtum«, sagte George. »Kennen Sie Thora?«
»Ich habe sie ein paar Mal getroffen. Sie war charmant.«
»Und Sie haben keine Ahnung, was sie dazu getrieben hat?«
»Nein.«
»Du lügst«, dachte George, »aber belassen wir es dabei. Clem wird es mir schon sagen können.«
Vosper verabschiedete sich, als sie im Cottage angekommen waren, und Alice rannte mit ausgestreckten Armen auf Lydia zu. »Meine süße Kleine, ich bin es, Tante Alice. Kannst du dich an mich erinnern?«
Lydia konnte sich nicht erinnern, doch bald hatten die beiden wieder Freundschaft geschlossen. Alice umarmte die Nanny und dankte ihr überschwenglich dafür, dass sie sich unter so schwierigen Bedingungen um das Wohl des Kindes gekümmert hatte.
Während sie sich unterhielten, schlenderte George durchs Haus und suchte nach einem Hinweis, der Thoras Verhalten erklären konnte. Doch im Cottage herrschte peinliche Ordnung, genau wie in Thoras Zimmer zu Hause.
»Woher hatte sie die Waffe?«, fragte er plötzlich. »Bewahrte sie sie hier im Haus auf?«
»Nein, Sir«, antwortete Netta. »Die Polizei hat mir diese Frage auch gestellt. Ich habe keine Ahnung, woher sie stammt. Was soll nur aus Lydia werden?«
»Wir nehmen sie mit nach Lancoorie«, erklärte Alice. »Sie war dort glücklich, es ist ihr Zuhause. Würden Sie sich um sie kümmern, bis wir heimkehren, Netta?«
»Nur zu gern, Mrs. Gunne.«
Alice weigerte sich, Thora zu besuchen. »Ich verstehe nicht, wie du einen solchen Vorschlag machen kannst«, sagte sie zu George.
»Dann gehe ich allein.«
»Du? Warum denn? Wir wollen nichts mit ihr zu tun haben.«
»Irgendjemand muss gehen.«
»Sie hat mit ihren vornehmen Freunden geprahlt. Die können sie doch besuchen.«
»Ich will nach ihr sehen.«
George kannte die Kaserne nur zu gut. Nicht nur einmal war er dort gefangengehalten worden. Als er durch den hohen Torbogen schritt, überlief ihn ein Schauer. Es kostete ihn echte Mühe, freiwillig diese Schwelle zu überschreiten. Die Angst vor dem Eingesperrtsein steckte noch tief in ihm. Auf dem großen Appellplatz verfiel er unwillkürlich in den schlurfenden Schritt, den er sich seinerzeit wegen der Fußketten angewöhnt hatte. Als ihm dies bewusst wurde, blieb er stehen und holte erst einmal tief Luft, um seine Fassung wiederzugewinnen. Doch immer noch war er fest entschlossen, das zu tun, was er als seine Pflicht erachtete. Kaum einer wusste so gut wie George, wie schrecklich es im Zuchthaus war und welche Auswirkungen es auf Thora haben würde.
»Wenn sie nicht alle ihre Sinne beisammen hatte, als man sie verhaftete, wird ihr das Gefängnis den Rest geben«, sagte er sich. Eine so zerbrechliche Frau wie Thora würde es nicht überstehen. Ihre Mitgefangenen würden ihr das Leben zur Hölle machen. Er spürte tiefes Mitleid mit ihr.
George trat auf das Wachhäuschen zu und bat darum, Mrs. Price besuchen zu dürfen. Er sei ihr Schwager.
»Keine Besucher!«, erwiderte die Wache.
»Wer hat das angeordnet?«
»Ist ein Befehl.«
»Das Gericht hat keine solche Entscheidung getroffen! Es ist gut und richtig, dass keine Reporter vorgelassen werden, aber ich gehöre zur Familie und habe ein Recht, Mrs. Price zu sehen.«
»Dann müssen Sie ein schriftliches Gesuch einreichen.«
»Kommen Sie mir nicht damit. Holen Sie Ihren Vorgesetzten.«
Nach einer längeren Auseinandersetzung mit einem jungen Leutnant, der Thoras Gegenwart offensichtlich als ständiges Ärgernis empfand und sich von ihr in seinem Tagesablauf gestört fühlte, wurde George zu ihr gelassen.
Zum Glück war sie allein in der Zelle. Er hatte schon Schlimmeres gesehen.
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