Leuchtendes Land
als sich die Räder schon zu drehen begannen. »Schick mir ein Telegramm, wenn du mich brauchst. Lass dich nicht unterkriegen.«
»Keine Sorge, ich komme zurecht.«
Der Pfiff ertönte, und die Lokomotive stieß eine Rauchwolke aus, als der Zug aus dem Bahnhof fuhr. Alice wich vor dem beißenden Rauch zurück, blieb aber auf dem Bahnsteig stehen, bis der Zug nicht mehr zu sehen war. Sie wusste nicht, wie sie den Tag, der vor ihr lag, bewältigen sollte. Sie würde George schrecklich vermissen und fragte sich, wie sie ohne ihn zurechtkommen sollte. Die ganze Woche war er wie ein Fels in der Brandung gewesen und hatte in seiner ruhigen Art alle Hindernisse aus dem Weg geräumt.
Mr. Vospers Telegramm hatte ihr einen regelrechten Schock versetzt. Sie hatte nicht aus noch ein gewusst, doch George hatte darauf bestanden, dass sie sofort abreisten. Er hatte das Packen ihr überlassen, während er den Farmarbeitern letzte Anweisungen erteilte. Als er ins Haus zurückkehrte, lief Alice noch immer wie in Trance herum, und so nahm er das Packen selbst in die Hand. Dann verfrachtete er sie eilig in den Wagen.
»Wir fahren direkt nach Northam«, sagte er. »Wenn wir auf die Kutsche warten, verlieren wir einen ganzen Tag.«
Die ganze Fahrt über machte sie sich Gedanken. Einen Todesfall hätte Vosper doch wohl erwähnt. Was also war geschehen? »Familie in Not.« Es konnte nur um Clem, Thora und das Kind gehen.
»Was auch immer passiert ist«, sagte sie schließlich zu George, »Clem kommt bestimmt damit zurecht. Manche Leute geraten einfach zu schnell in Panik. Meinst du, Mr. Vosper regt sich vielleicht wegen irgendeiner Bagatelle so sehr auf?«
»Wir werden sehen.«
Sie verbrachten die Nacht in einem Hotel in Northam und waren bereits am frühen Morgen auf dem Bahnhof. George kaufte eine Zeitung und steckte sie in eine Tasche. Erst als sie bereits ihre Plätze eingenommen hatten, holte er sie wieder hervor. Zum Glück, denn sonst wäre Alice auf der Stelle in Ohnmacht gefallen.
»Schüsse im Rathaus!«, lautete die fett gedruckte Schlagzeile.
»Du solltest das besser lesen«, hatte George gesagt.
Alice traute ihren Augen nicht. Thora hatte Clem niedergeschossen!
»Nein, das kann nicht wahr sein. So etwas würde sie nicht tun. Thora! Das kann ich einfach nicht glauben.«
Auf der langen Zugfahrt nach Perth las sie den Artikel wieder und wieder, weinte um Clem, betete für ihn, fragte sich nach Thoras Motiven und bemühte sich, den heftigen Zorn im Zaum zu halten, der sich in ihr anstaute.
»Das werde ich ihr nie verzeihen. Ich weiß, dass es schrecklich ist, so etwas zu sagen, aber ich hoffe, dass Gott sie für ihre Sünden bestraft. Sie wird doch ins Gefängnis kommen, oder?«
»Wir werden sehen.«
George war zwar ebenso entsetzt wie Alice, doch weitaus weniger überrascht. Er hatte schon lange vermutet, dass Thora nicht richtig im Kopf war, beschloss aber, Alice auch jetzt nichts davon zu erzählen. Er würde warten, bis sie die ganze Geschichte kannten. Die Zeitung berichtete alles Mögliche über den hässlichen Vorfall, ging aber mit keinem Wort auf die Motive ein, die Thora zu einer solchen Tat getrieben haben könnten. Über Clem erfuhren sie nur, dass er schwer verletzt war. Obwohl Alice sich normalerweise bemühte, jedem Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, brach sie über Thora sofort den Stab. George hörte ihr zu und war dankbar, dass seine Frau während der langen Zugfahrt ihren Gefühlen freien Lauf lassen konnte. Sie liebte ihren Bruder so sehr, dass sie nicht gezögert hätte, selbst eine Waffe auf Thora zu richten. Allmählich beruhigte sie sich jedoch. George ergriff ihre Hand.
»Du brauchst im Augenblick nur an Clem zu denken, alles andere wird sich von selbst ergeben. Versuch zu schlafen.«
Sie lächelte schwach und lehnte den Kopf an seine Schulter. »Du bist so gut zu mir, George.«
Fred Vosper holte sie am Zug ab und brachte sie auf dem schnellsten Weg ins Krankenhaus. Unterwegs berichtete er, dass man Clem je eine Kugel aus Brust und Oberschenkel entfernt hatte. Er war bei Bewusstsein, stand aber unter dem Einfluss starker Schmerzmittel. Alice begann zu weinen, als sie ihn sah, umklammerte seine Hand und sprach im Flüsterton mit ihm. Als sie sich schließlich verabschiedete, war sie auf Thora wieder genauso wütend wie vorher.
Die Reporter bedrängten sie und George mit Fragen, die sie beide nicht beantworten konnten. Mit gesenktem Kopf schoben sie sich schweigend durch die Menge –
Weitere Kostenlose Bücher