Leuchtendes Land
dann aber von Jordan überreden zu bleiben. Er selbst besuchte Miss Lavinia und kehrte entsetzt nach Minchfield zurück.
»Sie sieht alt und abgemagert aus, völlig ausgelaugt, ist aber geistig ebenso gesund wie du und ich. Einen Ort wie diesen habe ich im Leben noch nicht gesehen. Ekelerregend, schmutzig, der Alptraum einer Irrenanstalt. Die Insassen liegen in ihrem Dreck, faseln, sabbern, kreischen, kneifen einander und prügeln sich. Ich hatte Angst um mein Leben.«
Lil musste an Thora Price denken, und ein Schauer überlief sie. Es ging das Gerücht um, sie würde in die Irrenanstalt eingewiesen. So wie Jordan sich anhörte, war selbst das Gefängnis eine bessere Alternative.
»Sie fordern Lavinias Entlassung«, fuhr Jordan fort. »Reichen sogar beim Gouverneur eine Petition ein. Dein Mr. Warburton ist so beliebt wie eine ansteckende Krankheit.«
»Er ist nicht mein Mr. Warburton. Doch was ist mit mir? Ich habe seinerzeit die Einweisungspapiere mit unterzeichnet. Wenn Miss Lavinia herauskommt, bringt sie mich um.«
»Du hast unterschrieben, was er dir vorgelegt hat. Anderenfalls hätte er dich entlassen. Ich habe mit Miss Lavinia gesprochen. Sie erinnert sich an dich.«
»Darauf wette ich.«
»Sie erinnert sich daran, dass du sie aus den Flammen gerettet hast. Ihre Hand ist ganz vernarbt.«
»Und der Rest?«, fragte sich Lil. Vielleicht war Lavinia zu betrunken gewesen, um sich daran erinnern zu können, was vorher passiert war.
»Ich weiß nicht so recht. Wenn sie zurückkommt, fangen die Schwierigkeiten von vorne an. Sie war eine Tyrannin. Und grausam. Jordan, du kannst nicht so tun, als hättest du das vergessen.«
»Kannst du nicht noch eine Weile bleiben und es versuchen, Lil? Sie ist zu krank, um irgendjemanden zu tyrannisieren. Sie hat wie ein Kind geweint, als sie mich sah, und wollte alles über Minchfield House wissen.«
Lavinia kehrte ebenso plötzlich nach Minchfield House zurück, wie sie verschwunden war, diesmal in Begleitung eines Arztes und dessen Gattin, die der gebrochenen alten Frau aus dem Boot halfen.
Lil war in ihrem eigenen Interesse mit Caroline in das Cottage hinter der Küche gezogen, nachdem sie erfahren hatte, dass Miss Lavinia Chancen hatte, entlassen zu werden. Das Cottage gehörte definitiv nicht zum Hauptgebäude und war mit ihrer bisherigen Unterkunft gar nicht zu vergleichen, doch es war besser als die übrigen Dienstbotenquartiere. Ein Kompromiß eben. Sie wollte Miss Lavinia auf keinen Fall provozieren, und sie würde es sicher nicht gutheißen, wenn ein ehemaliges Dienstmädchen im Herrenhaus lebte.
Jordan legte sich sehr ins Zeug, um das Cottage wieder bewohnbar zu machen. »Ich hatte gehofft, du würdest ausziehen, Lil, habe mich aber nicht getraut, es zu sagen.« Sie hängten neue Vorhänge auf, legten schwere Matten auf die Steinböden und ließen Möbel aus den Lagerräumen kommen. Lil war von ihrem neuen Zuhause sehr angetan, obgleich sie sich darüber im Klaren war, dass es vielleicht nicht von Dauer sein würde.
Trotz Jordans Warnungen war sie nicht darauf gefasst gewesen, dass Miss Lavinia sich so sehr verändert hatte. Die Frau war ausgemergelt. Ging gebeugt. Trug keinen Hut, so dass man die kahlen Stellen auf dem Kopf erkennen konnte. Ihr Gesicht war voller entzündeter Stellen, und sie roch nach Urin.
Der Arzt sah, dass Lil zusammenzuckte, und sagte im Flüsterton: »Wir haben unser Bestes getan. Eigentlich wollten wir sie zunächst zu Freunden bringen, doch sie bestand darauf, sofort nach Hause gefahren zu werden. Würden Sie ihr bitte ein heißes Bad einlassen, Mrs. Cornish? Und Badesalz zugeben, falls Sie welches haben.«
Als die alte Frau schließlich in ihrem eigenen Bett lag, brachte Lil ihr das Essen hinauf. Sie wollte Miss Lavinia die Chance geben, sie zu entlassen, doch ihre Arbeitgeberin sagte nichts. Sie lächelte schwach und starrte gierig auf die Hühnerbrühe, als warte sie auf eine Erlaubnis, mit dem Essen zu beginnen.
»Sie sollten sie trinken, solange sie heiß ist«, sagte Lil. Sie fühlte sich schuldig und hatte großes Mitleid mit der Frau.
Lil wurde Lavinias Pflegerin. Sie badete sie und kleidete sie an, überwachte ihre Ernährung und stellte sie allmählich von einer Krankendiät auf gehaltvollere Nahrung um, damit sie wieder zu Kräften kam. Sie half ihr hinaus in den Garten, wo sie gemeinsam mit Caroline saßen, und von dort aus begann Lavinia, sich die Welt wieder zu erobern, allerdings auf recht unerwartete
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