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Leute, das Leben ist wild

Titel: Leute, das Leben ist wild Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexa Hennig Lange
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irgendwie auch toll sind.«
    »Jep.«
    Papa beißt die Zähne zusammen und aus dem Augenwinkel sehe ich, dass er sich schon wieder mit der Hand durchs Gesicht wischt. Die Haare kleben ihm am Kopf, sein Hemd ist vorne schon ganz durchnässt, an mir hängt nass der Kapuzenpulli. Mein Vater räuspert sich erneut: »Ja, da hast du so was von recht. Durch Alina, also, durch ihren, ich sage mal: Verlust, ist mir klar geworden, dass ich mehr hatte, als ein Mann sich je wünschen könnte: eine gesunde Familie. Aber ich dachte immer: Ich hätte eine tollere Frau verdient, eine, die mir jegliche Freiheiten lässt und, so banal es klingt, mich nicht fragt, wann ich nach Hause komme. Eine, die sich nicht ständig Sorgen macht und …«
    »Mama hat sich nur so viele Sorgen gemacht, weil du dir nie Sorgen gemacht hast.«
    Papa wiegt den Kopf ein wenig. »Ach, ich weiß nicht, Lelle. Ich meine, und das sage ich ganz wertfrei, Mama neigt schon etwas dazu, alles überzudramatisieren. Da wollte ich nicht mitmachen, weil ich das Leben nicht als permanente Gefahr sehe. Ich sehe nicht, dass sich ständig alles in Auflösung befindet.«
    »Aber jetzt hat sich alles aufgelöst.«
    »Das stimmt, aber vielleicht, weil ständig davon gesprochen wurde, dass alles irgendwann auseinanderbricht. In so einer Stimmung mochte ich nicht mehr existieren.«
    »Aber Mama geht zum Yoga. Außerdem hat sie doch jetzt diesen 19-jährigen Hip-Hopper als Lover.«

    Abrupt bleibt Papa stehen und starrt mich entgeistert an. »Machst du Witze?«
    Ich schüttele den Kopf und schiebe mein Rad weiter, das letzte Stückchen zwischen den Bäumen hindurch auf die Straße, die sich feucht glänzend um unsere Siedlung legt. Hier lebe ich mit meiner Familie, beziehungsweise mit Mama. Aber das hat ja wohl auch bald ein Ende, ich habe ja jetzt ein WG-Zimmer in der Innenstadt. Ich weiß jetzt gar nicht, ob und wann ich überhaupt in mein neues WG-Zimmer ziehen soll? Die ganze Situation hat sich ja irgendwie geändert. Vielleicht will Mama jetzt erst recht alleine sein, damit Samuel zu uns ziehen kann. Oder Mama denkt, ich sollte besser nicht alleine sein, damit ich vor Trauer nicht wieder zurück in die Magersucht falle. Oder wir denken beide, wir sollten zusammenhalten. Keine Ahnung. Das werden wir dann mal in Ruhe besprechen müssen - vermutlich, wenn Arthur weg ist. Ist ja schon übermorgen. Herrlich, Lelle lernt loslassen. Schön viele Abschiede auf einen Haufen. Wunderbar. Wenn ich all das durchgestanden habe, bin ich bereit, zu sterben.
    Papa kommt mir hinterhergetrottet. »Warte mal.«
    Ich gehe trotzdem weiter. Papas Schritte werden schneller, bis wir wieder nebeneinander die Straße hinunterlaufen. Mit einem Schlag hat es aufgehört zu regnen und die Sonne bricht plötzlich mit aller Kraft hinter den dunklen Wolken hindurch, sodass am Ende der Straße ein Regenbogen von allererster Güte steht. Sehr schön! Leute, da gucke ich jetzt mal voll drauf. So einen schönen, farbenprächtigen Regenbogen habe ich in der Tat noch nie gesehen. Wow! Wie an den Himmel gemalt sieht er aus, als könnte ich tatsächlich darauf spazieren gehen. Ist ja irre!

    Papa will gar nicht hingucken, er reibt seine Hände über die Jackettärmel, als wollte er sie daran abtrocknen, und stottert: »Was heißt das, Mama hat einen Lover?«
    »Das, was es heißt: Mama hat einen 19-jährigen Lover, der Hip-Hop hört und auf Freestyle-Fighten steht und eine riesige Tätowierung auf der Brust hat.«
    Papa beugt sich noch etwas vor, um mir besser ins Gesicht sehen zu können. »Das ist doch wohl ein Witz? Woher kennt sie den Typen?«
    »Na ja, das ist dieser wahnsinnige Cousin von Johannes. Samuel heißt der.«
    »Der Cousin von Johannes? Der mit den riesigen Kapuzen-Sweatshirts und diesem gigantischen Silberkreuz um den Hals? Dieser Halbkriminelle?«
    »Exakt.«
    »Hat so was Zukunft?«
    »Keine Ahnung. Die beiden verstehen sich prima. Eure Ehe hatte ja wohl auch keine Zukunft. Weiß man also nie vorher, wie es über die Jahre läuft.«
    »Hat Mama keine Sorge, dass er gefährlich sein könnte? Ich meine, guck dir diesen Typen an! Dem sehe ich doch auf fünfhundert Meter Entfernung an, dass der nicht sauber ist. Der räumt euch die Bude aus. Sitzt der auf meinen Möbeln? Ich will nicht, dass der meine Frau anfasst.«
    »Der schläft sogar in eurem Bett.«
    »Das erlaube ich nicht.«
    Tja, Leute, mein Vater ist richtig mit den Nerven runter. Hilflos wedelt er mit seinen Händen in der Luft herum und

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