Lewis CS - Narnia 4
sagte da plötzlich Edmund mit einer Stimme, die alle schweigen und aufhorchen ließ. »Jetzt wird mir alles klar«, fuhr er fort. »Was wird dir klar?« fragte Peter.
»Nun, die ganze Sache«, antwortete Edmund. »Ihr wißt doch noch, worüber wir uns gestern abend den Kopf zerbrachen. Für uns ist nur ein Jahr vergangen, seit wir Narnia verlassen haben, aber alles sieht so aus, als hätte seit Hunderten von Jahren niemand in Feeneden gelebt. Versteht ihr mich noch nicht? Ihr wißt doch noch, daß - einerlei, wie lange wir auch in Narnia gelebt haben mögen - anscheinend keine Zeit verstrichen war, als wir durch den Wandschrank zurückkehrten.« »Red weiter«, sagte Suse. »Ich glaube, ich begreife allmählich.« »Und das heißt«, fuhr Edmund fort, »daß man, wenn man einmal außerhalb Narnias ist, keine Ahnung hat, wie die Zeit in Narnia läuft. Warum sollten in Narnia nicht Hunderte von Jahren vergangen sein, während bei uns in England nur ein einziges Jahr verstrichen ist?«
»Donnerwetter, Edi«, sagte Peter. »Du scheinst es erfaßt zu haben. So betrachtet, mag es Hunderte von Jahren her sein, als wir in Feeneden lebten. Und jetzt kehren wir nach Narnia zurück, gerade als seien wir Kreuzfahrer oder Angelsachsen, die ins moderne England zurückkommen.«
»Wie aufregend es wohl für all die anderen ist, wenn sie uns sehen -« begann Lucy. Da aber rief im gleichen Augenblick jemand »Schsch!« und »Achtung!« Denn nun ereignete sich etwas.
Etwas rechts von ihnen bildete das Festland eine bewaldete Zunge. Die Kinder waren überzeugt, daß gleich hinter dieser Spitze die Mündung des Flusses war. Nun kam um diese Landzunge herum ein Boot in Sicht. Als es sie umschifft hatte, wandte es und fuhr den Wasserarm aufwärts auf sie zu. An Bord befanden sich zwei Männer. Der eine ruderte; der andere saß im Heck und hielt ein Bündel, das so zuckte und sich bewegte, als sei es lebendig. Die zwei schienen Soldaten zu sein. Sie trugen Helme auf den Köpfen und hatten leichte Kettenpanzer an. Ihre Gesichter waren bärtig und hart. Die Kinder zogen sich vom Strand in den Wald zurück und beobachteten sie, ohne sich zu rühren.
»Das genügt«, sagte der Soldat im Heck, als das Boot etwa auf ihrer Höhe angekommen war.
»Soll ich ihm einen Stein an die Füße binden, Korporal?« fragte der andere und ruhte sich auf den Riemen aus. »Unsinn!« knurrte der erste. »Einen Stein brauchen wir nicht, und übrigens haben wir auch keinen bei uns. Er wird auch ohne Stein todsicher ertrinken, wenn die Stricke fest gebunden sind.« Mit diesen Worten erhob er sich und nahm das Bündel auf. Peter sah jetzt, daß es wirklich lebendig war. Was da zappelte, war ein Zwerg, den man an Händen und Füßen gefesselt hatte. Trotzdem wehrte er sich nach Kräften. Unmittelbar darauf hörte dieser Zwerg etwas an seinem Ohr vorbeischwirren, worauf der Soldat die Arme hochwarf, ihn ins Boot fallen ließ und selbst über Bord kippte. Er suchte an das jenseitige Ufer zu entkommen, und Peter war es klar, daß Suses Pfeil seinen Helm getroffen hatte. Er wandte sich um und sah, daß sie zwar sehr blaß geworden, aber schon wieder damit beschäftigt war, einen zweiten Pfeil an die Sehne zu legen. Dieser wurde allerdings nicht mehr gebraucht. Kaum sah der andere Soldat seinen Kameraden umfallen, als er laut schreiend auf der entgegengesetzten Seite aus dem Boot sprang, ebenfalls durch das Wasser entwich, in dem er augenscheinlich gerade stehen konnte, und in den Wäldern des Festlandes verschwand. »Schnell! Ehe es abtreibt!« rief Peter. Er und Suse sprangen in voller Kleidung ins Wasser. Ehe dieses ihre Schultern erreicht hatte, waren ihre Hände an der Bootswand. Nach kurzer Zeit hatten sie das Fahrzeug ans Ufer gezogen. Sie hoben den Zwerg heraus, und Edmund machte sich eifrig ans Werk, die Fesseln mit einem Taschenmesser zu zerschneiden. (Peters Schwert war schärfer, aber für eine solche Arbeit ist ein Schwert nicht geeignet, weil man es nur am Heft anfassen kann.) Als der Zwerg frei war, rieb er sich Arme und Beine und rief aus:
»Was auch immer geredet wird - ihr seht nicht so aus wie Geister!«
Wie die meisten Zwerge war er recht stämmig und breitbrüstig. Stehend hätte er wohl einen Meter gemessen. Ein riesiger Vollbart und ein Schnurrbart aus struppigem, rotem Haar ließen von seinem Gesicht nur die schnabelartige Nase und zwinkernde, schwarze Augen frei.
»Was ihr auch sein mögt«, fuhr er fort, »Geister oder nicht, Ihr habt mir das
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