Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Lewitscharoff, Sibylle

Lewitscharoff, Sibylle

Titel: Lewitscharoff, Sibylle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Apostoloff
Vom Netzwerk:
Märchentöpfen die Schuhcreme stammte, welche die
Angestellten auf ihre Lappen rieben, ob die Leute beim Schweizer Militär
geschult worden waren und zu guter Letzt noch mit einem Batzen Spucke den
Spiegel erzeugten. Die Schuhe glänzten wie für eine Parade, obendrein rochen
sie gut: lederhaft würzig mit einem kleinen Beiruch von Mandelöl.
    Abends,
an zwei langen Tischen, die für uns reserviert worden waren, wurden wir
vergnügt. Die Ansprache Tabakoffs machte uns zunächst verlegen, aber es
dauerte nur wenige Minuten, da wurde der Gastgeber fröhlich, und seine
Stimmung sprang auf uns über. Die schwäbische Bulgarenclique war bester Laune,
niemand hatte damit gerechnet, dass Tabakoffs Großzügigkeit so spektakulär
ausfallen würde. Aus Kindertagen wehte eine vertraute Stimmung heran, eine
Feststimmung, wie wir sie kannten, wenn sich die Bulgaren einmal pro Jahr zu
ihrer Weihnachtsfeier versammelten.
    Die
orthodoxe Weihnacht fand nach dem Julianischen Kalender statt, in der Nacht vom
6. auf den 7. Januar. In Stuttgart, wo die wenigsten Bulgaren religiös waren,
glich das Fest einer riesigen Familienzusammenkunft mit Tanzvergnügen. An den
religiösen Hintergrund erinnerte eine Stange, an der eine Pappkrone mit
goldenem Papierstern befestigt worden war. Gefeiert wurde in einem Wirtshaus in
der Innenstadt, das einem Bulgaren gehörte. Selbstredend kamen nur bulgarische
Speisen auf die Tische. Ein großes Pitabrot mit silberner Glücksmünze.
Schopska-Salat, Baniza, gefüllte Paprika, gefüllte Auberginen, saure
Weinblattrouladen, ein komisches rotes Püree mit schwierigem Namen und ein
Kompott aus getrockneten Früchten. Der Saal war über und über mit Blumen geschmückt.
Es ging ausgelassen zu, wir Kinder tanzten miteinander oder kurvten im Rudel um
die Tische. Von gutmütigen Erwachsenen wurden wir spaßhalber zum Tanz
aufgefordert. Das Fest dauerte die halbe Nacht, am Schluss taumelten wir als
Drehwürmer um die eigene Achse, schliefen während der Heimfahrt erhitzt und
glücklich auf der Rückbank ein.
    Der
eigentliche Charme lag darin, dass hier alle zusammenkamen, die irgend mit
Bulgarien zu tun hatten, unabhängig von ihrer sozialen Stellung, den Berufen,
die sie ausübten. Auf den umlaufenden Bänken saßen die Männer in ihren dunklen
Anzügen und sahen aus, als hockten sie allabendlich da, hockten in ihren
bulgarischen Provinzstädtchen noch ein bisschen vor der Haustür beieinander.
Der Elektrofachhändler neben dem Import-Export-Mann, der Handelsvertreter für
Trikotagen neben dem Autohändler, der stolze Besitzer eines Gemüsestandes in
der Markthalle neben dem Doktor und der wiederum neben dem Rosenzüchter. Die
blonden, dauergewellten Frauen tauschten, wenn sie nicht tanzten, den neuesten
Stuttgarter Klatsch aus, und der Kneipier wachte darüber, dass alles in Schwung
blieb und sein französischer Wein - kein bulgarischer, denn der war selbst für
die bulgarischen Patrioten zu schlecht - eifrig nachgeschenkt wurde.
    Dontscho
Gitzin. Der Rosenzüchter! Ihn hatte ich völlig vergessen. Er lebte noch und
seine Frau offenbar auch. Sie hatten ihre Plätze schräg gegenüber an der
anderen Tafel. Also war Tabakoff doch nicht der einzige, der den alten Verein
überlebt hatte. Es passte zum Rosenzüchter, dass ich ihn längst im Grab wähnte,
während er tappelnden Schrittes auf seinen Stuhl zusteuerte, vornübergebeugt,
nachdem er vorher unter Mühen aufgestanden war, um Tabakoff etwas ins Ohr zu
sprechen, vorsichtig aufgrund seiner Gebrechlichkeit, unvertraut mit dem
Luxus, der ihn umgab, mit tastenden Händen die Stuhllehne abgreifend, bevor er
sich setzte.
    Der
Rosenzüchter war das Kuriosum des Vereins gewesen. Ein dünnes, unscheinbares
Männchen, welk schon in Jahren, als er noch ziemlich jung gewesen sein musste.
Er arbeitete bei der Stuttgarter Verwaltung und war für die Aufstellung und
Wartung der städtischen Müllkörbe zuständig. Seine Passion jedoch war das
Rosenzüchten, das er in einem Schrebergarten über den Weinbergen von Fellbach
betrieb. Er war auf altenglische Rosen spezialisiert, stark duftende, gefüllte
Sorten mit klingenden Namen, die er in einem eigenartig mürben Tonfall und mit
rollendem R aussprach: Cottage Rrrrose,
Morrtimerr Sacklerr, Sisterr Charrrity. Der Klang seiner Stimme
beim Herzitieren der geliebten Rosennamen ist so ziemlich das einzige, was ich
von ihm in den Ohren zurückbehalten habe. Zum Rosenzüchter gehörte nämlich, dass
er schwieg und nur im

Weitere Kostenlose Bücher