Lexikon des Unwissens: Worauf es bisher keine Antwort gibt (E-Book zu Print) (German Edition)
voll aufdreht und das ganze Blut nicht mehr schön langsam und tropfenweise, sondern schnell und turbulent austritt.
Die offensichtliche Lösung aller Tropfenprobleme ist schon lange bekannt: Man muss an einen Ort ziehen, an dem es weder Flüssigkeiten gibt noch Horrorfilme, zum Beispiel auf den Mond. Nie mehr wird man dort wegen tropfender Hähne wach liegen.
Tunguska-Ereignis
«Kometen verursachen immer Katastrophen», sagte der Snork feierlich.
«Was ist eine Katastrophe?», wollte Schnüferl wissen.
«Oh, allerhand Schreckliches», antwortete der Snork. «Heuschreckenschwärme, Erdbeben, Sturmfluten, Wirbelstürme und so weiter.»
«Lärm, mit anderen Worten», sagte der Hemul. «Man hat nie seine Ruhe.»
Tove Jansson: «Komet im Mumintal»
Am 30. Juni 1908 kurz nach sieben Uhr morgens tat es in Sibirien einen Schlag, «der mit Bumsti nur unzutreffend wiedergegeben ist» (Robert Gernhardt). Oder auch mehrere; hier fangen die Probleme schon an, denn manchen Ohrenzeugenaussagen zufolge knallte es bis zu zwanzigmal. Unumstritten ist eigentlich nur, dass in der Nähe eines Jenissei-Nebenflusses mit dem attraktiven Namen Steinige Tunguska irgendetwas explodiert war, und zwar vermutlich am Himmel. Die Explosion hatte – wie man Jahrzehnte später mühsam aus Indizienbeweisen errechnete – die Sprengkraft von 10 bis 20 Megatonnen TNT, das entspricht dem Fünf- bis Zehnfachen aller im Zweiten Weltkrieg abgeworfenen konventionellen Bomben oder umgerechnet sehr, sehr vielen Knallfröschen. Eine dunkle, pilzförmige Wolke erhob sich, es regnete Dreck, und seismographische Stationen in Irkutsk, Taschkent, Tiflis und im über 5000 Kilometer entfernten Jena registrierten die Erschütterung. Die Druckwelle wurde von mehreren Messgeräten in England aufgezeichnet. In 970 Kilometern Entfernung maß das Observatorium in Irkutsk Störungen im Erdmagnetfeld, wie sie auch nach Atombombenexplosionen auftreten. In den folgenden 72 Stunden beobachtete man in ganz Europa lange und ungewöhnlich farbige Abenddämmerungen und helle Nächte; im schottischen St. Andrews konnte man nachts um halb drei Golf spielen. Irritierenderweise hatten sich solche Abenddämmerungen zusammen mit anderen Phänomenen wie Wolken in sehr großer Höhe, atmosphärischen Störungen und auffälligen Sonnenhalos schon mehrere Tage vor der Explosion gezeigt. Diese Erscheinungen waren in einem Gebiet zu sehen, das etwa vom Jenissei im Osten bis zur Atlantikküste im Westen und im Süden etwa bis zur Höhe von Bordeaux reichte.
In den ersten Jahrzehnten der Forschung stammten alle Daten aus fünf Expeditionen, die der russische Mineraloge Leonid Kulik zwischen 1921 und 1939 durchführte. Die erste dieser Expeditionen war ursprünglich eine allgemeine Meteoriten-Forschungsexpedition, bei der Kulik am Bahnhof von St. Petersburg ein Kalenderblatt von 1910 in die Hand gedrückt bekam, das von einem mysteriösen, 1908 in Tomsk vom Himmel gefallenen Meteoriten berichtete. Der Kalendereintrag erwies sich als falsch, brachte Kulik aber auf die Fährte des Tunguska-Ereignisses. Dieser ersten Expedition ging das Geld aus, bevor Kulik ins Explosionsgebiet vordringen konnte; es gelang ihm aber, mit Hilfe eines in Zeitungen veröffentlichten Fragebogens zahlreiche Augenzeugenaussagen zu sammeln.
Das Tunguska-Gebiet ist nicht gerade ein Ferienparadies, sondern entlegen, unwegsam, mückenverseucht, im Sommer zu heiß und im Winter zu kalt. Es wundert daher kaum, dass die Gegend ausgesprochen dünn besiedelt ist. Einerseits ein glücklicher Umstand, denn so hielt sich der angerichtete Personenschaden in Grenzen: Jemand brach sich den Arm, es gab einige blaue Flecken, und ein alter Mann starb vor Schreck. Ein günstigeres Verhältnis von Ausmaß der Katastrophe zu Anzahl der Verletzten wird man lange suchen müssen. Andererseits wüssten wir heute sehr viel mehr über das sogenannte Tunguska-Ereignis, wenn die Augenzeugenberichte nicht zum Teil erst Jahrzehnte später aufgenommen worden wären. Selbst die Berliner Polizei ist normalerweise schneller am Unfallort.
Aus den ca. 900 Augenzeugenberichten, die nach der Katastrophe in russischen Zeitungen erschienen oder in den folgenden Jahrzehnten durch Befragungen der Bevölkerung zusammengetragen wurden, geht hervor, dass in der nächsten Siedlung, dem 65 Kilometer entfernten Wanawara, eine grelle Lichterscheinung zu sehen war und Fensterscheiben zersprangen. Die Befragten berichteten von Hitzeempfindungen auf der Haut, Donner
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