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Liberator

Liberator

Titel: Liberator Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Harland
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als er von Kugeln getroffen wurde. Col spürte einen Luftzug über seinen Haaren, als eine Kugel dicht vorbeiflog. Er spähte zu den Swolotschi hinüber. Riff war bereits in ihrer Mitte und rief: »So geht das! Entsichern! So, kuckt her!«
    Dann merkte er, dass er noch immer das Gewehr in der Hand hielt. Von kaltblütigem Morden konnte jetzt keine Rede mehr sein. Er hob den Kopf über Babjas Körper, zielte auf den mittleren Schatten und feuerte. Der Offizier sank in sich zusammen und fiel. Im Fallen zog er den Mann neben sich mit, und beide verschwanden aus dem Blickfeld.
    Der andere Offizier schoss erneut, und ein Schmerzenschrei ertönte in der Menge. Aber schon einen Moment später waren die Swolotschi soweit und begannen ebenfalls zu schießen. Erst ein Schuss, dann ein weiterer, und dann eine mächtige Gewehrsalve. Sie hatten zwar nicht gelernt zu zielen, aber das machten sie durch die schiere Menge der Schüsse wett. Eine Kugel nach der anderen drang in die Röhren, einige davon erreichten auch ihr Ziel.
    »Genug!«, schrie Riff und wedelte mit den Armen. »Schluss jetzt!«
    Sie verstanden zwar die Worte nicht, wohl aber die Bedeutung. Das Gewehrfeuer erstarb. In der einsetzenden Stille hörte sich das Wusch-gaah der Maschinen seltsam laut an.
    Als nächstes versammelten sich die Swolotschi um ihre gefallene Anführerin. Ein Junge, nicht älter als Unja, erreichte sie als erster, kniete nieder und blickte in ihre toten Augen. Andere besahen ihren Hinterkopf. Er war zur Hälfte weggeschossen. Col stand auf und trat zurück, als die Menge näherkam. Der Junge streckte zwei Finger aus und schloss behutsam Babjas Augenlider. Tränen kullerten ihm über das Gesicht, und auch viele andere in der Menge weinten.
    Sie sprachen nicht und jammerten nicht – sie sangen. Eine einzelne Stimme begann, bald fiel eine zweite ein und dann kamen mehr und mehr dazu und bildeten einen Chor. Es war eindringlich und wunderschön und herzzerreißend traurig. Lauter und lauter erklang das Klagelied. Col hatte den Eindruck, dass von überall her, selbst von den entferntesten Orten, Menschen in den Gesang einstimmten. Er hatte Babja kaum gekannt, aber das Lied ging ihm unter die Haut und schnürte ihm die Kehle zu.
    Doch dann schnitt ein anderer Klang wie ein Messer durch das Lied, ein brutaler Misston.
    Es war das Heulen von Sirenen.
    Die Swolotschi sahen hinauf zu den riesigen gusseisernen Blöcken. Col folgte ihren Blicken, konnte aber keine Sirenen ausmachen. Was er hingegen sah, war, dass sich die Drähte und Hebel bewegten, die neben den Rohren auf den Blöcken verliefen. Dann sprangen Deckel auf, und dahinter erschienen Ventile. Die Swolotschi hielten die Luft an, und Col tat es ihnen gleich. Irgendetwas entwich aus den Ventilen – es war gelbes Gas, bösartig wie das Zischgeräusch, das seinen Austritt begleitete.
    Col erinnerte sich an das gelbe Gas. Die Russen hatten es in Glaskugeln vom Deck der Romanow zu ihnen hinübergeschossen.
    Und nun zeigte sich, dass sie das Gas auch gegen ihre eigenen Dreckigen anwandten. Als der Wind das Gas zum russischen Deck zurückgetrieben hatte, waren die Russen geflohen. Aber die Swolotschi flohen jetzt nicht – sie schützten sich anscheinend überhaupt nicht vor dem Gas. Stattdessen blieben sie einfach stehen, wo sie waren, blickten zu den Ventilen und erhoben ihre Stimmen zu einem neuen Lied. Kein Klagelied diesmal, sondern ein Widerstandslied, ein Lied des Ungehorsams, mitreißend und schrecklich zugleich. Es war großartig, es ließ die Brust schwellen und das Blut gefrieren. Aber wie konnten sie dem Gas standhalten?
    Stimme für Stimme fiel auch in dieses Lied ein. Col sah, wie sich Unjas Brust hob und senkte, während sie ihre ganze Seele in jede Note legte. Das Lied wurde immer lauter, bis es sogar das Sirenengeheul übertönte.
    Eine Hand packte ihn an der Schulter. »Wir müssen ihnen zeigen, was sie tun sollen!«, schrie Riff in sein Ohr.
    Col hatte nicht die leiseste Ahnung, was sie meinte, aber er rannte hinter ihr her zu der Doppelröhre. Sie schien einen Plan zu haben, und Dunga, Cree, Orris und Jarvey kamen ebenfalls herbeigelaufen. Riff blieb an der Stelle stehen, wo ihre Kugeln die gewellte Oberfläche durchlöchert hatten.
    »Hier ist das Material schon geschwächt«, sie zeigte auf die Einschusslöcher. »Hier müssen wir es aufreißen!«
    Sie steckte ihre Finger durch die Löcher und begann an dem Material zu zerren. Aber es war fester, als es aussah, selbst an den

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