Liberator
die Saboteurin gestoßen, die gerade ein Feuer legen wollte.«
»Eine Saboteurin?«
»Ja. Ich habe sie lachen hören, aber nicht gesehen. Nur ihr Taschentuch.«
»Das hatte ich mir jetzt schon gedacht. Aber wer soll das sein? Aus welchen Ghetto?«
Antrobus hatte das Taschentuch wieder genau untersucht und holte nun tief Luft, um einen neuen Satz von sich zu geben. »Diese Frage ließe sich mühelos klären, wenn ihr eure Überlegungen über den Rahmen eurer bisherigen Mutmaßungen hinaus erweitertet.«
Gillabeth lachte freiheraus. »Warum sagt er nicht einfach Mutter oder Vater oder etwas anderes Simples wie Ball ? Sind das nicht die ersten Worte, die Kinder normalerweise von sich geben?«
Antrobus richtete einen ernsten Blick auf Gillabeth. »Es scheint, dass die Komplexität meiner mentalen Prozesse einer komplexeren grammatischen Struktur bedarf.«
»Also«, fragte Col, »was meintest du denn nun? Sag nicht, du kennst sogar die Lösung des Problems!«
Antrobus schien von der Länge seines letzten Satzes völlig erschöpft. Er zeigte einfach nur auf eine bestimmte Ecke des Taschentuches. Col strich das Spitzentaschentuch flach und untersuchte die Ecke. Er entdeckte eine kleine eingestickte Initiale, weiß auf rosa.
»Es ist ein T«, sagte Gillabeth. »Wessen Name beginnt mit einem T, der oder besser die ein rosa Spitzentaschentuch besitzen könnte?«
Col ging alle Möglichkeiten in Gedanken durch – aber er konnte sich niemanden als Saboteurin vorstellen.
»Wo will er denn nun hin?«, fragte Gillabeth plötzlich.
Sie meinte Antrobus, der auf unsicheren Beinchen den Korridor entlanglief.
»Vielleicht will er uns irgendwo hinführen«, schlug Col vor. Sie liefen zu ihm. »Ist es das, Antrobus? Willst du uns zu ihr bringen?«
Aber Antrobus schien diese Frage keiner Antwort für wert zu halten, und so folgten sie ihm schweigend.
37
Sie mussten aussehen wie bei einem Familienausflug. Col nahm Antrobus an die eine Hand, und Gillabeth nahm die andere. Die paar Dreckigen, denen sie begegneten, kümmerten sich nicht um sie. Sie blieben auf demselben Deck, aber liefen so viele Korridore entlang, dass sie in einen anderen Teil des Juggernaut gelangten. Hier hatten einst die Elite-Familien gelebt.
»Wo führt er uns bloß hin?«, fragte Col.
»Ich glaube, ich weiß es«, gab Gillabeth zurück.
Nach zwei weiteren Abbiegungen hatten sie ihr Ziel erreicht. Es war keines der Protzer-Ghettos, sondern nur eine unscheinbare Tür in einem unscheinbaren Gang.
»Hier kenne ich mich gar nicht aus«, stellte Col fest.
Gillabeth wiegte ihren Kopf. »Hättest du aber fast. Du hättest nämlich beinahe hier gelebt!«
Col hatte nicht die geringste Ahnung, was Gillabeth meinte. Sie versuchte, die Tür zu öffnen, aber die war verschlossen. Gillabeth blickte ihn erwartungsvoll an.
Er verstand. Die Tür aufzubekommen war seine Aufgabe. Er rammte seine Schulter dagegen, aber nichts tat sich. Erst beim dritten Anlauf war das Geräusch von splitterndem Holz zu hören, und die Tür schwang auf.
Cols erster Eindruck war, dass die ganze Welt rosa gefärbt war. Er lag auf einem rosa Teppich und blickte auf eine rosa Bettdecke, auf rosa Gardinen und rosa Tapeten. Der Teppich war dick und weich, die Bettdecke war mit Rüschen besetzt, und die Gardinen hatten Volants.
Während er sich aufsetzte, ging ihm langsam ein Licht auf. Gillabeth verabscheute Rosa, aber da gab es jemand anderes, die Rosa liebte. Jedenfalls hatte es so jemanden gegeben …
»T steht für Turbot«, rief Gillabeth in der Tür stehend aus. Ja, das ergab Sinn: Dies musste sein Brautgemach sein, dessen Ausstattung Sephaltina Turbot selbst ausgesucht hatte. Aber …
»Sie ist nicht mehr da«, widersprach Col. »Sie hat den Juggernaut gemeinsam mit ihrer Familie verlassen.«
»Sieht nicht sehr verlassen aus, wenn du mich fragst.« Gillabeth zeigte in eine Ecke der Kabine. »Sieht sie so aus, als wäre sie nicht mehr hier?«
Col sprang auf die Füße. Seine ihm gesetzlich angetraute Frau, Sephaltina, duckte sich hinter der anderen Seite des Bettes zwischen einen mit Spitzendeckchen geschmückten Tisch und einen rosaumrandeten Spiegel.
Er erkannte sie kaum wieder. Ihre Augen waren eingesunken, die Wangen hektisch gerötet, und ihr flachsfarbenes Haar hing ungekämmt in losen Strähnen herunter. Sie war nicht mehr das hübsche Mädchen mit dem Rosenknospenmund, das sie vor drei Monaten gewesen war. Aber sie trug noch immer das perlenbesetzte Diadem, den dazu
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