Liberty 9 - Sicherheitszone (German Edition)
Geruch verbrannten Fleisches die Luft, und das Zucken und Sich-Winden von Jaydans Körper, in dem längst kein Leben mehr war, schien nicht aufhören zu wollen.
Kendira wollte schreien, doch aus ihrer Kehle kam nur ein trockenes Schluchzen.
» Komm, schau nicht mehr hin « , sagte jemand hinter ihr, und ein Arm legte sich um ihre Schulter, um sie sanft wegzuführen.
Es war Carson.
Kendira sank in seine Arme und ließ ihren Tränen freien Lauf.
42
Die Nacht war windstill, schwül und fast so finster wie Kendiras Stimmung. Mond und Sterne verbargen sich hinter einer dichten Wolkendecke. Und wenn die wandernden Lichtkegel der Wachtürme nicht gewesen wären, hätte sie kaum die eigene Hand vor Augen ausmachen können. Aber selbst dann hätte sie den Weg zum Vista Hill und den Serpentinenpfad hinauf zur Kuppe des Hügels mühelos gefunden.
Die Zeiger ihrer Uhr zeigten neun Minuten nach Mitternacht an, als sie die letzte Steigung erklomm, das flache Plateau erreichte und die letzte Gruppe hoher Sträucher passierte. Dann lag das Gelände offen vor ihr.
Dante saß auf dem flachen runden Felsen, der sich wie der Rücken eines versteinerten Wals mehrere Meter weit aus dem Boden erhob.
Kendira ging zu ihm und legte ihm zum Gruß kurz die Hand auf die Schulter. » Ich wusste, dass du hier sein würdest « , sagte sie und setzte sich neben ihn.
» Und ich wusste, dass du kommen würdest. « Seine Stimme klang dunkel und schwer wie die Nacht.
» Ich bin froh, dass du zurück bist. «
» Und ich bin froh, dass dir nichts passiert ist « , sagte er. » Ich meine, dass Jaydan dir nichts Schlimmes angetan hat. «
Kendira schüttelte den Kopf. » Er war dein bester Freund, und er wusste, was… « Sie brach ab und biss sich auf die Lippen.
» …was du mir bedeutest « , beendete Dante den Satz für sie. » Ja, das wusste er. Aber er hat mich nicht verstanden und dir nicht über den Weg getraut. Das ging nicht gegen dich persönlich, er hat keinem Elector getraut. «
» Welchen Grund hätte er denn auch haben sollen? Ich an seiner Stelle hätte es vermutlich auch nicht getan. «
Dante lachte kurz und bitter auf. » Trotzdem hätte er das nicht tun dürfen. Ich habe ihm mehr als einmal versichert, dass du uns nicht verrätst und ich meine Hand für dich ins Feuer legen würde. Jaydan war mein bester Freund, schon in Eden. Aber dass er dir den Gewehrlauf an den Kopf gesetzt hat und offenbar kurz davor stand, dich zu erschießen, werde ich ihm nie verzeihen können. «
» So war es nicht, Dante. «
Erneut lachte er kurz auf. » Es ist lieb von dir, das zu sagen, und es bedeutet mir viel « , versicherte er und legte für einen flüchtigen Moment seine Hand auf ihren Arm. » Aber du brauchst ihn nicht in Schutz zu nehmen. Ich weiß aus erster Hand und bis in jede Einzelheit, was gestern Vormittag vorgefallen ist. Ich habe mir das gleich bei meiner Rückkehr von mehreren Leuten berichten lassen. Bei uns in den Servantenquartieren wird sowieso von kaum etwas anderem geredet. «
» Mag sein, aber was du gehört hast, kommt nicht aus erster Hand. Jedenfalls nicht, was die Sache mit mir und Jaydan betrifft « , widersprach sie. » Keiner außer mir weiß, was da auf dem Platz tatsächlich vorgefallen ist und aus welchem Grund er so getan hat, als wollte er mich erschießen. «
Überrascht sah er sie an. » Du meinst, er hat gar nicht wirklich vorgehabt, dir etwas anzutun? « , stieß er aufgeregt hervor.
Sie nickte. » Das war nur ein Täuschungsmanöver, damit keiner misstrauisch wird und mich hinterher scharf ins Verhör nimmt. «
» Aber warum dieses Täuschungsmanöver? Was wollte er denn von dir? «
» Jaydan wusste, dass er… dass er verloren war. Aber er wollte nicht zum Cleansing verurteilt oder öffentlich hingerichtet werden, sondern sein… sein Ende selbst bestimmen. « Ihre Stimme zitterte. Es fiel ihr schwer, darüber zu reden. Noch immer standen ihr die albtraumhaften Bilder seiner verzweifelten Flucht und sein schreckliches Ende vor Augen. » Er wollte lieber im Kugelhagel oder am Starkstromzaun sterben, als den Guardians lebend in die Hände zu fallen. «
» Zumindest diese Freiheit haben sie ihm nicht nehmen können! « , sagte Dante mit Genugtuung in der Stimme. » Ich hätte es nicht anders gemacht. «
» Aber vorher wollte Jaydan noch kurz mit mir reden « , fuhr Kendira fort. » Deshalb hat er mich so schrecklich angeschrien und so getan, als würde er mich erschießen wollen. In Wirklichkeit
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