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Liberty Bell: Das Mädchen aus den Wäldern (German Edition)

Liberty Bell: Das Mädchen aus den Wäldern (German Edition)

Titel: Liberty Bell: Das Mädchen aus den Wäldern (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johanna Rosen
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Tier.
    »›Bete für mich. Und für Robby. Er war dein Bruder und ein wunderbares Kind – so wie du ein wunderbares Kind bist. Zwei Geschenke Gottes‹, sagte sie ganz zum Schluss«, fuhr Liberty Bell mit erstickter Stimme fort. »Sie hat noch für mich gesungen, zum letzten Mal das Lied von der alten Eiche, weil es mein Lieblingslied war. Ihre Stimme klang ganz schwach. Und dann hat sie zum allerletzten Mal ihre Augenhärchen für mich tanzen lassen, wie sie es so oft getan hatte, als ich noch sehr klein gewesen bin.
    »›Schau nicht so verzweifelt‹, bat sie mich, fing aber selbst an zu weinen, ganz leise. Sie sagte ein paarmal, dass sie mich nicht alleine lassen wolle, es aber wohl nicht verhindern könne. – Und dann flüsterte sie, sie würde sich jetzt auf den Weg zu Robby machen. Und dann schloss sie die Augen und verließ mich…«
    Es war eine Entführung, anders konnte man es nicht nennen. Während die Welt scheinbar in zwei Hälften gespalten war – auf der einen Seite blühten sämtliche Sommerazaleen in ganz Oregon, wie sie es jeden Sommer taten, und auf der anderen Seite fand auf dem alten Friedhof von Old Town Jadens schreckliche Beerdigung statt –, schlichen Ernesto und Liberty Bell sich aus dem Krankenhaus ins Freie. Es funktionierte überraschend gut. Marylin Long, die Riesin am Empfang, schaute nicht mal auf, als Ernesto und Liberty Bell hoch erhobenen Hauptes an ihr vorübergingen.
    »Dreistigkeit siegt«, murmelte Ernesto, als sie draußen waren, und atmete auf.
    »Kommst du nicht mit?«, hatte Salvador ihn erstaunt am Morgen am Telefon gefragt.
    »Nein, ich muss mich… um Liberty Bell kümmern«, hatte er erwidert. »Sie ist sehr durcheinander, weißt du, seit sie erfahren hat, dass Annie Lyford gar nicht ihre wirkliche Mutter war…«
    »Ah, okay«, murmelte Salva.
    Das musste reichen als Grund. Ernesto war froh, dass er nicht zusätzlich erwähnt hatte, wie sehr ihm die Sache mit Jaden an die Nieren ging, und dass er den Gedanken, Mrs und Mr Franklin in ihrer Trauer zu begegnen, nicht gut ertrug.
    »Baz sagt übrigens, sie wollen Liberty Bell in einem Mädchenwohnheim in Village unterbringen, oder so. Weißt du da was von?«, hakte Salva zuletzt noch nach.
    Ernesto schluckte. »Nein, nix«, sagte er erschrocken. »Was soll denn der Mist? In ein Heim? Dazu wird es nicht kommen, Salva, das schwöre ich dir…«
    »Sie werden sicher bald merken, dass ich einfach so fortgegangen bin, Ernesto«, sagte Liberty Bell in diesem Moment besorgt.
    »Sollen sie ruhig«, antwortete Ernesto und öffnete für Liberty Bell schwungvoll die Beifahrertür seines Beetles. Liberty Bell schaute sich betroffen um.
    »He, du bist gesund«, fuhr Ernesto unterdessen fort. »Du hast in einem Krankenhaus definitiv nichts zu suchen. Wird Zeit, dass sie das kapieren. Sie dürfen dich nicht einfach einsperren. Dazu haben sie kein Recht.«
    Liberty Bell war vorsichtig niedergekniet und betastete den Boden mit ihren Händen. »Überall diese ganz glatten Steine. – Oder woraus ist dieser Erdboden gemacht?«
    Ernesto lächelte. »Asphalt heißt das«, sagte er. »Mit glattem Stein liegst du nicht ganz falsch.«
    Liberty Bell erhob sich wieder. »Nicht so schön wie weicher Boden. Manchmal tun mir die Füße weh beim Gehen auf diesem harten Stein.«
    Ihre Hand glitt über den roten Beetle.
    »Und – Autos«, murmelte sie. »Diese wahnsinnig vielen, vielen Autos. Ich habe sie beobachtet, von meinem Fenster aus. Leslie hat mir gesagt, die meisten Menschen haben Autos. Wie ist es, in einem zu fahren? Ich kann es mir nicht vorstellen, obwohl ich lange nachgedacht habe. Man schwebt darin und das Auto rast unter einem dahin, ohne dass man etwas tut, ja? Hat niemand – Angst davor?«
    Ihr Blick hing unsicher an Ernesto.
    »Probier es aus«, lächelte er und machte eine einladende Geste mit dem Arm in Richtung Autoinneres.
    Liberty Bell nickte, holte tief Luft – presste etwas wie »Mut fassen…« durch die Zähne – und stieg ein.
    Ernesto bewunderte sie, sie war blass, aber sie zögerte nicht mehr. Wenn Liberty Bell sich etwas vorgenommen hatte, dann tat sie es auch, zumindest sah es so aus.
    »Oh. Es ist… großartig …«, murmelte sie, nachdem Ernesto ihr das Anschnallsystem erklärt hatte, und hielt sich an beiden Seiten ihres Sitzes fest, während sie sehr aufrecht dasaß.
    Ernesto warf ihr einen Blick zu. Wie schön sie aussah. Er hatte ihr ein dünnes helles Baumwollkleid mit kleinen Blümchen darauf gekauft, in

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