Liberty: Roman
sich Sifs Mutter.
»Dem Hund Wasser geben.«
»Dann gehe ich mit«, erklärt Sif.
Draußen zünde ich mir hinter dem Haus eine Zigarette an. Biete sie ihr an.
»Rauchst du?«
»Nein, danke.« Das ist unsere gesamte Konversation. Kurz darauf brechen die Isländer auf, um im Marangu Hotel zu übernachten und am nächsten Morgen zur unteren Hütte auf den Berg zu gehen.
»Wir sehen uns in der Schule«, sagt Sif.
»Ja, bis dann.«
»Da hast du aber dein Fett abbekommen«, sagt Thorleif zu Vater.
»Tja, das waren schon ein paar Erleuchtete«, erwidert Vater. Ich stecke mir eine Zigarette an und trinke einen großen Schluck aus Vaters Bierglas. Er hebt die Augenbrauen, sagt aber nichts.
»Ursprünglich sind sie über eine humanitäre dänische Hilfsorganisation hierhergekommen, und dann hat er einen neuen Job gefunden«, erzählt Thorleif.
»Ja, das erklärt einiges«, meint Vater.
»Erst wollten sie wie die Einheimischen leben, kein Koch oder so etwas, aber dann trinken sie auch den Whisky von Ostermann wie alle anderen.«
»Und wieso haben sich ihre Ansichten geändert?«, frage ich Thorleif.
»Durch die Absurdität der Situation. Sif kommt jetzt aufs Internat der ISM – allein die Kosten dafür würden reichen, um ein ganzes Dorf zu füttern. Und dieses Geld wird von unserer Entwicklungshilfe abgezogen. Tja, wenn man schon akzeptieren muss, dass man ein Teil der Entwicklungshilfeindustrie ist, dann kann man den schlechten Geschmack auch mit einem Whisky runterspülen.« Thorleif hebt sein Glas. »Prost«, sagt er.
Die zehnte Klasse beginnt. Die Lehrer geben uns vom ersten Tag an ziemlich viele Hausaufgaben. Ich sehe Sif auf den Fluren, spreche aber nicht mit ihr. Am Freitag findet eine Fete statt, um den Beginn des neuen Schuljahres zu feiern.
»Na, bist du noch immer scharf auf Shakila?«, fragt mich Samantha.
»Ach, halt die Klappe.« Noch verrückter bin ich nach Samantha, aber ich weiß nicht, wie ich es anstellen soll. Stefano tanzt mit ihr. Hinterher tanzt Samantha mit Savio, und Stefano steht daneben und ärgert sich. Offenbar macht sie ihn mit Absicht eifersüchtig. Panos würde gern mit Truddi tanzen, doch sie kommt zu mir und sagt: »Forder mich doch mal auf, Christian. Oder traust du dich nicht?« Und dann tanze ich mit ihr, obwohl ich sie für eine kleine Göre halte. Panos ist sauer. Aber er nimmt sich zusammen und bittet Diana um einen Tanz, denn Diana ist Truddis Freundin, und Panos würde alles tun, um Truddi näherzukommen. Nur, sie aufzufordern, traut er sich nicht. Aus den Augenwinkeln sehe ich die anderen. Nach Irene und dem weiteren Training mit Marcus, Claire und Rosie im YMCA tanze ich gut. Ich entdecke Sif, die mit einer Freundin an der Wand lehnt. Sie schaut mich an. Ich wende den Blick ab. Kurz darauf ist die Fete zu Ende. Die Internatsschüler müssen in ihre Häuser. Die übrigen Schüler sollen auf den Parkplatz gehen, wo sie abgeholt werden.
Ich rauche mit Panos und Jarno zwischen den Bananenpalmen hinter dem Speisesaal eine Zigarette. Panos ist still.
»Verdammt«, ist das Einzige, was er sagt.
»Ja, genau«, ist das Einzige, was ich sage. Jarno ist Finne, ihm eilt der Ruf voraus, überhaupt nichts zu sagen. Die einheimischen Zigaretten sind schlecht, der Tabak ist mit DDT gespritzt und so locker gestopft, dass die Zigarette einfach abbrennt, wenn man einen Moment vergisst zu ziehen. Jarno stößt den Filter auf dem Glas seiner Armbanduhr auf, um den Tabak zu verdichten – stilvoll.
Marcus
LUTHERISCHES GEFÄNGNIS
Mit Unterstützung von Tante Elna komme ich auf die Highschool, an die Makumira; und an der Schule gibt es eine alte englische Dame, die ich kennengelernt habe, als ich beim Pastor wohnte. Sie unterrichtet an der Makumira, einem lutherischen Internat in Arusha. Getauft bin ich als Katholik, aber wer kann den Unterschied sehen? Sie werden sich meiner annehmen. Ich glaube, Jonas betet darum, dass ich die Familie verlasse, obwohl ich noch immer mein Ghetto-Zimmer hinter dem Haus habe.
Ich bin der junge Schüler, der Sklave eines älteren Schülers wird. Seines Zimmers: Ich muss es sauber machen. Seiner Kleidung: Ich muss sie waschen. Seiner Schuhe: Ich muss sie putzen, während er irgendwo sitzt, gongo trinkt und bhangi raucht. Ich mache alles, damit er mich nicht hart schlägt. Ich habe Angst. Einmal bin ich im Speisesaal, als mein Nachbar aus dem Schlafsaal kommt, vollkommen blutverschmiert, weil er nicht gehorchen wollte. Ich bin nicht gewohnt, so zu
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