Liberty: Roman
den letzten Zug und gehe hinüber zum Tisch.
»Ja. Sie ist abgehauen.« Ich drücke die Zigarette im Aschenbecher aus. »Sie glaubt … Ach, Scheiße, was weiß ich? Sie glaubt wohl, dass dieser Farmer irgendwie mehr ist als mein Vater. Mehr … Mensch. Oder Mann.«
»Ist er’s denn?«
»Zum Teufel, woher soll ich das wissen? Ich bin siebzehn.«
»Fährt dein Vater jetzt schwarz?«
»Schwarz fahren?«
»Ja, hat er angefangen, schwarzen Frauen nachzusteigen?«
Ich zucke die Achseln: »Ich weiß nicht.« Ist das überhaupt wichtig? Ich höre den Land Rover des Alten in der Einfahrt. Er tritt hart auf die Bremse, stellt den Motor ab, wirft die Tür zu. Ich fange an, laut zu zählen: »Eins, zwei, drei, vier, fünf …« Die Eingangstür klappt, und er brüllt: »Wie oft soll ich dir noch sagen, dass du dein Scheißmotorrad nicht mitten in den Hof stellen sollst! Verflucht, das endet noch mal damit, dass ich es anfahre!«
»Übersetz«, sagt Samantha. Ich übersetze, während er den Flur herunterkommt und die Tür öffnet. Dann bemerkt er Samantha, die auf dem Bett liegt. Vater weiß nicht, was er jetzt machen soll.
»Guten Tag«, sagt er, tritt zwei Schritte ins Zimmer und gibt ihr die Hand. »Niels«, stellt er sich vor. Samantha richtet ihren Oberkörper auf und schüttelt die Hand.
»Spar dir das Gebrüll«, sage ich auf Dänisch. Er wirft mir einen Blick zu. Samantha drückt ihre Zigarette aus. Sie hat keine Raucherlaubnis, und der Alte ist im Verwaltungsrat, aber er weiß nicht, ob sie die Zulassung hat oder nicht. Er hat zu oft einen Kater, um sich an so etwas zu erinnern.
» Karibuni chakala «, sagt Juliaz auf dem Flur – das Essen ist fertig.
»Möchtest du mitessen?«, fragt Vater Samantha.
»Natürlich möchte sie«, sage ich.
Die Unterhaltung während der Mahlzeit ist angestrengt. Irgendetwas mit der Schule. Vater fragt nach dem Hotel in Tanga, und ich habe schon Angst, er wird sich blamieren – oder Samantha beleidigen und fragen, ob die Kellner inzwischen besser geworden sind. Möglicherweise erzählt sie ihm aber auch, dass ihr Vater die Kellnerinnen vögelt, und fragt ihn, ob er auch schwarz fährt. Wir essen hastig und brechen auf. Samantha hält sich locker an meinen Hüften fest. Wir nähern uns der Lema Road. Wenn wir jetzt zur Schule fahren, hänge ich den Rest des Nachmittags bei Sif herum. Und wenn sie sieht, dass ich mit Samantha komme, kann ich mit einer sauren Sif rechnen.
»Wollen wir in den Moshi Club fahren?«, ruft Samantha. Ich bremse und halte an der T-Kreuzung, an der die Lema Road rechts abgeht.
»Nein, keine Lust. Mein Vater wird bald hinfahren und sich total volllaufen lassen.«
»Dann lass uns einfach so herumfahren.«
»Okay.« Ich fahre an der Abfahrt zum Moshi Club vorbei, zur alten Eisenbrücke über den Karanga River. Auf der anderen Seite gebe ich Gas, Samantha muss ihre Finger vor meinem Bauch flechten, um fest zu sitzen. Der Fahrtwind zerrt an uns – es ist heftig. Ich fahre an der Rückseite des Karanga Prison vorbei, weiter. Die asphaltierte Straße ist schmal, aber gut. Wir begegnen einer Gruppe Strafgefangener in verwaschenen weißen Anzügen und ein paar Aufsehern. Die Gefangenen arbeiten an der Straße. Wenn wir weit genug fahren, treffen wir auf die Straße in Richtung Norden, zum West-Kilimandscharo, wo meine Mutter bei dem Kolonialisten wohnt. Nach ein paar Kilometern kommen wir in ein Dorf. Ich halte vor einem Kiosk.
»Hast du Geld?«, erkundigt sich Samantha.
»Ja.«
»Du hast immer Geld.«
»Ich klau’s meinem Alten.«
»Hast du keine Angst, dass er’s entdeckt?«
»Nein, dazu hat er zu oft einen Kater. Ich klaue ein bisschen von der ausländischen Knete, die bei ihm herumliegt«, sage ich und kaufe Limonade. Biete Samantha eine Zigarette an. Wir rauchen, ohne ein Wort zu sagen.
»Die sind überhaupt nicht hier«, sage ich.
»Wer?«
»Meine Eltern. Die … Weißen. Das hat überhaupt nichts mit Afrika zu tun. Die bewegen sich zwischen ihrem Haus, dem Job, dem Club und den Häusern der anderen Weißen. Das Gefährlichste, was sie unternehmen, ist ein Marktbesuch mit dem Koch oder dem Gärtner an der Leine, damit er die Waren zurück zum Auto schleppen kann.«
»Was ist daran falsch?«
»Na ja … sie sind in Afrika – und sie haben nicht das Geringste mit den Afrikanern zu tun!«
»Glaubst du, sie verpassen was?«, fragt Samantha.
»Ja, also …«
»Also was?«, will sie wissen. Vielleicht hat sie recht.
»Dann hätten sie
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