Liberty: Roman
zum YMCA , wo es jetzt eine große Containerbar mit Kiosk gibt; Gateway heißt sie. In meinem Kopf nenne ich sie Get Away.
Christian
»Ist Marcus zu Hause?«, frage ich das Hausmädchen an der Tür.
»Er ruht sich aus«, antwortet sie. »Ich darf ihn nicht wecken.«
Ich schaue an ihr vorbei ins Wohnzimmer. Haile Selassie hängt in einem Rahmen hinter Glas an der Wand. Auch Bob Marley. Außerdem gibt es Familienbilder. Claires kleine Rebekka, die gestorben ist; Marcus mit dem kleinen Steven, der ertrunken ist; der kleine lebendige Redemption. Ein verblichenes Foto von Katriina und den Mädchen. Früher hatte er auch ein Bild von uns beiden vor dem Roots Rock: mit gegenseitig über die Schultern gelegten Armen, Sonnenbrillen und Zigaretten, die uns von den Lippen hingen – jung, frisch, cool, optimistisch. Dieses Foto fehlt. Es gibt auch kein Bild von Stevens Mutter und kein Foto von Tita und ihrer schokoladenbraunen Tochter. Wenn er eins besitzt, hängt es zumindest nicht an der Wand. Ebenso wenig wie Bilder von Marcus’ Eltern und Geschwistern. Ich weiß, dass er Fotos von ihnen besitzt, die Deutsche in Seronera geschossen haben, als Marcus dort als Kind lebte. Er hat sie nicht aufgehängt, er redet nie von ihnen. Die Eltern waren schlecht. Er brach mit ihnen und wollte seine eigene Familie gründen, von Anfang an. Das hat er getan, und es ist ein ziemliches Chaos geworden, denn Marcus ist auch schlecht. Wird der kleine Redemption ein Foto von Marcus in einem Rahmen unter Glas auf seinem Regal stehen haben, wenn er erwachsen ist? Solja? Rebekka? Ich glaub’s nicht. All diese Bilder werden verblassen, verbrennen, verdrecken, verloren gehen, verwittern.
»Sag Marcus bitte, Christian ist hier gewesen«, sage ich zu dem Hausmädchen, die an den Türrahmen gelehnt steht.
»Ich sage es«, erwidert sie und schließt die Tür. Ich fahre nach Hause, um Rachel zu holen. Wir wollen auf dem Markt einkaufen. Ich habe Rogarth und Firestone zum Abendessen eingeladen. Wir sind nur noch zu dritt, seit Emmanuel abgehauen ist. Drei Hyänen. Ich habe Rogarth gebeten, einen neuen Rausschmeißer zu besorgen, aber noch hat er niemanden gefunden, auf den er sich verlassen kann.
»Der Rüde ist krank«, sagt Rachel, als ich nach Hause komme. Sie zeigt mir den Hund, der unter einem Busch im Garten liegt. Er winselt, als wir näher kommen. Die Hündin sitzt ein Stück abseits und hält Wache.
»Hast du oben im Haus Bescheid gesagt?«
»Ja. Sie sagen, es würde sich geben.«
»Das ist nicht unser Problem«, sage ich, denn ich habe kein Geld für einen Tierarzt. Aber es ist ein Problem, nur einen Hund zu haben, es sollten zwei sein. Ein einzelner Hund kann rasch getötet werden, und dann gibt es keinen Alarm, der den Wachmann wecken könnte.
Wir fahren in die Innenstadt. Ich meide den Clocktower-Kreisel, das Zentrum der Innenstadt, denn ich habe keine Lust, dem Besitzer des Liberty, dem Polizisten, Benson oder David, Claire oder Marcus zu begegnen. Wir fahren vom Arusha-Kreisel in die Arusha Road und biegen rechts in die Einbahnstraße Kawawa Street ab – wo Marcus von Asko gerammt wurde. Und dann über die Chagga Street zum Markt, der ganz in der Nähe von Swahilitown liegt. Meine Augen sind hinter einer verkratzten Sonnenbrille verborgen, dahinter sucht mein Blick die Umgebung nach Abdullah und Tariq ab, den Feinden. Ich schwitze. Ich trinke eine Cola im Schatten, während Rachel sich auf dem Gemüsemarkt mit den Händlern streitet – die wissen, dass sie mit einem weißen Mann zusammen ist, und sie werden niemals glauben, dass ein weißer Mann am Arsch sein kann.
Zu Hause räume ich auf, spiele mit Halima, helfe Rachel ein bisschen in der Küche. Rogarth und Firestone kommen. Ich hole ihnen ein Bier und stelle gesalzene Cashewnüsse und Bombay-Mix auf den Tisch. Wir hören den Soundtrack von Shaft . Es klopft an der Verandatür. Ein kleines Mädchen aus dem Haupthaus. Die Tränen laufen ihr über die Wangen.
»Aber was ist denn los?«
»Der Hund ist tot«, sagt sie.
»War er krank?«, erkundigt sich Rogarth.
»Ja, seit gestern«, sage ich. Das kleine Mädchen bleibt in der Tür stehen. »Sollst du noch mehr sagen?«, frage ich sie vorsichtig, damit sie sich nicht erschrickt.
»Meine Mutter sagt, der mzungu soll den Hund begraben«, antwortet sie. Ich richte mich auf.
»Ist keiner der Männer im Haus?« Das Mädchen schüttelt den Kopf. »Willst du eine Cola?« Sie nickt und kommt zu mir, nimmt meine Hand. Wir gehen in
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