Licht und Dunkelheit
auf.
»Ja?«
»Darf ich reinkommen?«, flüsterte eine männliche Stimme. Levarda erkannte Egris sofort.
»Natürlich, kommt rein.«
Sie sprang aus dem Bett und zog ein wollenes Tuch über ihre Schultern. Der Mond schien noch immer so hell, dass sie keine Kerze brauchte, um die Panik in Egris‘ Gesicht zu sehen.
»Was ist passiert?«
»Celina. Sie klagte am Nachmittag über Schmerzen. Die Hebamme ist gekommen und meinte, es wäre viel zu früh für die Geburt, sie solle sich hinlegen und ausruhen. Aber – Levarda, sie sieht so furchtbar aus. Etwas stimmt nicht. Bitte, Ihr müsst mit mir kommen.« Er raufte sich die Haare.
Levarda überlegte nicht lange, packte ihre Tasche, wollte nach ihrem Umhang greifen, doch Egris hielt sie zurück.
»Nein, ich muss Euch rausschmuggeln. Hier. Zieht das an.« Er holte unter seinem Umhang ein Bündel Kleidung heraus. Kleider einer Dienstmagd.
Egris drehte sich um und Levarda zog die Sachen hastig über ihr Nachtgewand. Sie steckte ihre Haare unter die Haube. Er trat zu ihr, zupfte ein paar Strähnen hervor, zog ihr die Kapuze des Umhangs tiefer ins Gesicht.
»Bleibt immer dicht hinter mir, damit Euch niemand direkt ins Gesicht sieht.«
»Ich hoffe, es funktioniert«, flüsterte sie.
Gemeinsam gingen sie die Treppe hinunter. Levarda übte sich darin, Egris‘ Schatten zu sein. Zum Glück war er kräftig gebaut. Sie traten durch die Tür.
»Alles in Ordnung, Feldtus. Ihr könnt eintragen, dass Lady Levardas Zimmer überprüft ist. Sie schläft tief und fest.«
Der Soldat wandte sich zum Wachzimmer ab, und sie schlüpften zur Treppe durch, diesmal Levarda voran.
Im Geschoss der Dienstmägde blieb sie stehen. Er packte sie am Arm und schob sie auf eine Nische zu, die sich als Treppe entpuppte und in ein weiteres Geschoss hinabführte, das sich, wie sie überrascht feststellte, unter der Erde befinden musste. Egris hatte eine Fackel entzündet, hielt aber weiter ihren Arm fest.
»Wenn wir jemandem begegnen, tut so, als wäre es Euch unangenehm. Sträubt Euch ein wenig, dann wirken wir überzeugender.«
»Wo sind wir hier?«
»Das sind die Gänge für die Garde, schweigt jetzt.«
Soldaten kamen ihnen entgegen, nickten Egris zu. Manche warfen einen überraschten Blick auf die verhüllte Frauengestalt, andere grinsten nur wissend. Langsam ahnte Levarda, was die Männer dachten. Gewissheit bekam sie, als Egris abrupt stehen blieb. Sie stolperte gegen seinen Rücken. Sein Griff verstärkte sich.
»Egris, du versetzt mich in Erstaunen«, hörte sie Lemars Stimme.
»Weil ich auch Bedürfnisse habe?«, erwiderte er kühl.
»Das bezweifle ich nicht. Bei deiner Frau ist es ja bald soweit, wie es aussieht«, er streckte die Arme in einer ausladenden Geste von sich, »aber eine Dienstmagd vom Hof? Welche hast du da – Lina?« Er verrenkte den Hals.
»Das geht dich nichts an. Kümmere dich um deinen eigenen Kram. Haben nicht deine Leute den letzten Attentäter durchschlüpfen lassen?«
Lemar knurrte ärgerlich. »Es wird Zeit, dass der hohe Lord seine Aufgabe erledigt, sonst mache ich es für ihn.«
»Lemar!«, wies er ihn scharf zurecht.
»Keine Angst, Egris, ich kenne meinen Platz.«
Egris zog Levarda mit sich, die geschickt Lemar den Rücken zukehrte, als er einen Blick auf sie erhaschen wollte.
Der Gang führte bis zu den Quartieren der Soldaten. Sie überquerten den Vorplatz, gingen über die Brücke und passierten das Eingangstor. Niemand hielt sie auf. Als sie um die Ecke bogen, wo die Straßen des inneren Ringes begannen, ließ Egris sie los.
Gemeinsam liefen sie die Straße hinunter, bogen in abzweigende Seitengassen ab. Levarda merkte, dass die lange Zeit in ihrem Zimmer an ihrer Ausdauer gezehrt hatte. Ungeduldig trieb Egris sie vorwärts.
Endlich erreichten sie ein kleines Haus, wo ein Diener ihnen die Tür öffnete. Egris zog sie die Treppe hoch und riss eine Tür auf.
Was Levarda als Erstes wahrnahm, war der Geruch des nahen Todes.
»Ich brauche heißes Wasser, viel heißes Wasser, verdünnten Wein, Tücher, einen Becher. Los, los, beeilt Euch!«, scheuchte sie Egris aus dem Zimmer.
Dann trat sie neben Celina, die leise stöhnend und zusammengekrümmt im Bett lag, ihr Gesicht mit kaltem Schweiß bedeckt und verzerrt vor Schmerzen. Levarda legte ihr die Hand auf die Stirn, dann auf ihr Herz. Es schwächelte, schlug aber regelmäßig. Als sie eine Hand auf ihren Leib legte, fühlte sie, dass auch das Kind lebte, aber mit dem Kopf nach oben lag. Sie
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