Licht und Dunkelheit
löst meine Zunge.«
Er schwieg.
Sie wollte aufstehen, aber ihr Körper gehorchte ihrem Bewusstsein nicht mehr. Der Becher entglitt ihrer Hand.
Er stand auf, nahm ihn vom Boden und stellte ihn auf den Tisch. »Ich musste sichergehen, dass Ihr mir nichts verschweigt.«
Als sich sein Arm unter ihren Nacken schob, wehrte sie sich, so gut es noch ging.
»Hört auf, ich tue Euch nichts, ich bringe Euch ins Bett.«
Levarda gab auf, schloss die Augen und ließ ihren Kopf erschöpft an seine Schulter fallen.
»Schau mich nicht so an, Bernar, öffne mir lieber die Tür. Ich habe nicht vor, mich an einer schlafenden Frau zu vergehen.«
Sie konnte fühlen, wie er sie die Treppen hochtrug und sie sanft ins Bett legte.
»Ihr müsst mir beim Auskleiden helfen, Lord Otis«, drang die besorgte Stimme von Adrijana an ihr Ohr.
Er hatte sie belogen – ihre Zuneigung zu der Magd schamlos ausgenutzt!
»Nein, ich werde sie nicht ausziehen.«
»Dann hättet Ihr Mylady nicht so viel von dem Mittel einflößen dürfen. Sie ist bewusstlos, seht Ihr denn nicht?«
Levarda wollte widersprechen, scheiterte aber an der mangelnden Kontrolle über ihre Zunge. Ebenso wenig konnte sie die Augen öffnen oder einen Finger bewegen.
»Helft mir wenigstens, ihr das obere Kleid auszuziehen«, bat Adrijana verärgert.
Levarda spürte starke Hände, die ihren Oberkörper stützten. Andere zerrten an ihrem Kleid, dann lag sie ausgestreckt im Bett und wurde zugedeckt.
»Sorge dafür, dass sie morgen ein warmes Bad nimmt. Sie war völlig durchgefroren.«
»Bleibt sie hier auf der Burg?«
»Nein, sie wird Lady Smira begleiten.«
»Und wie wollt Ihr sicherstellen, dass sie überlebt?« Sie konnte die Sorge in Adrijanas Stimme hören.
»Gar nicht. Im Gegenteil. Wenn sie verurteilt wird, ist es mein Schwert, das sie tötet.«
»Das könnt Ihr nicht tun!«
»Es war ihr ausdrücklicher Wunsch.«
Levarda hörte Adrijanas Aufschluchzen und spürte den warmen Trost in der Stimme von Lord Otis, als er sagte: »Deine Narbe ist verblasst.«
»Ich weiß«, flüsterte sie.
»Warum hast du mir nie gesagt, was dein Vater dir angetan hat?«
»Ich wollte es vergessen.«
»Wie konntest du in mein Bett kommen?«
»Ihr habt mir gezeigt, dass es so nicht sein muss, dass es schön sein kann, eine Frau erhebt, nicht erniedrigt.«
Stille breitete sich im Zimmer aus.
»Ich muss gehen.«
»Ihr wollt heute noch zurückreiten? Zur Festung?«
»Ja, es geht nicht anders. Es muss viel vorbereitet werden. Adrijana, du wirst sie als Zofe begleiten. Ich möchte, dass jemand bei ihr ist, dem ich vertraue.«
»Heißt das, dass ich sterbe, wenn Lady Smira dem hohen Lord keinen Thronfolger gebiert?«
»Ab heute ist dein Leben mit ihrem verbunden.«
»Ich verstehe.«
Sanft streichelte seine Stimme die Dunkelheit: »Nein. Du verstehst nichts. Du bist wie Sendad. Ihr beide glaubt immer daran, dass das Gute siegen wird, aber so ist diese Welt nicht.«
»Sie hat mir Hoffnung gegeben und mein Leben verändert.«
»Ja, und es wird sich zeigen, ob es ein langes oder ein kurzes Leben ist.«
Zeremonie
L evarda wartete an der Kutsche. Sie trug ein Kleid, das Adrijana ihr aufgezwungen hatte. Das enge Oberkleid war innen mit weichem Leder verstärkt, sodass es ihre Körperlinie modellierte. Die Magd hatte es zuerst in einer Art geschnürt, dass Levarda keinen tiefen Atemzug mehr zuwege brachte. Erst nach der dritten Schnürung hatten sie sich einigen können. Die Ärmel weiteten sich ab dem Ellbogen. Zwei Unterröcke bauschten den oberen Rock auf, der hinten so lang war, dass er ein Stück weit auf dem Boden lag. Der Ausschnitt war tiefer, als sie ihn normalerweise trug, aber hoch genug, dass sie sich nicht unwohl fühlte. Das steife Kleid war unbequem, doch die Magd meinte, es müsse sein, damit sie am Hofe des Lords gleich Eindruck machte. Trotzdem war Levarda nahe daran gewesen, es wieder auszuziehen, wären da nicht die flehenden Blicke von Adrijana gewesen und die leise gemurmelte Bemerkung, dass sie die Konsequenzen für eine Nichtachtung tragen müsste.
Die Last der Verantwortung für eines weiteres Leben lag schwer auf Levardas Schultern, was sie einzig und allein Lord Otis verdankte.
Ein ehrfurchtsvolles Raunen ging durch die Reihen der Soldaten, die seit einer halben Stunde abmarschbereit auf ihren Pferden saßen.
Das Geräusch riss Levarda aus ihren trübsinnigen Gedanken. Als sie hochsah, dachte sie für den Bruchteil eines Augenblicks, die Göttin Lishar
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